Feuerflut
haben, muss der Stoff vielleicht ständig erwärmt werden, damit er nicht hochgeht. Vielleicht ist der Schädel ja deshalb explodiert, weil er aus der warmen Höhle in die kühle Bergluft gebracht wurde.«
Das war ein interessanter Gesichtspunkt.
Chin verfolgte den Gedanken weiter. »Das stützt eine Überlegung, die ich in der Zwischenzeit angestellt habe.«
»Ich höre.«
»Sie haben erwähnt, der Dolch aus der Höhle bestehe aus Damaszenerstahl, dessen Härte und Widerstandsfähigkeit die Folge einer nanotechnischen Materialbehandlung sei.«
»Das hat mir Dr. Denton, der Physiker, gesagt, bevor er getötet wurde. Er hat gemeint, dies sei ein Beispiel für eine frühe Form von Nanotechnik.«
»Ich frage mich … als ich den Denaturierungsprozess im Tal beobachtet habe, kam mir der Gedanke, dies könnte etwas anderes sein als ein chemischer Vorgang. Ich hatte eher den Eindruck, die Materie werde angegriffen und ihr atomarer Zusammenhalt aufgelöst.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Eines der großen Ziele der modernen Nanoforschung ist die Herstellung von Nanorobotern, also molekülgroßen Maschinen, die imstande sind, die Materie auf atomarer Ebene zu manipulieren. Ist es denkbar, dass diese Menschen sich nicht nur mit Nanotechnik auskannten, sondern sogar über Nanoroboter verfügten? Dann wären bei der Explosion Abertrillionen schlafender Nanobots aktiviert worden, und es hätte sich ein Nano-Herd gebildet, der sich in alle Richtungen ausbreitete.«
Das klang weit hergeholt. Painter stellte sich vor, wie die mikroskopisch kleinen Roboter Molekül für Molekül die Atombindungen kappten.
»Direktor, ich weiß, das klingt verrückt, aber Laboratorien in aller Welt vermelden ständig neue Durchbrüche bei der Konstruktion und Herstellung von Nanomaschinen. Einige Labors haben selbstreplizierende Robots auf Siliziumbasis postuliert, sogenannte Nanite, die imstande sind, aus dem Grundstoff, den sie verzehren, Kopien ihrer selbst anzufertigen.«
Painter vergegenwärtigte sich erneut den Denaturierungsprozess, der im Tal stattgefunden hatte. »Chin, davon ist man noch weit entfernt.«
»Das sehe ich auch so. Aber in der Natur gibt es bereits zahllose Nanobots. Zellenzyme verhalten sich wie Arbeitspferde in Nanomaßstab. Die kleinsten selbstreplizierenden Viren agieren auf Nanoebene. Hat in der fernen Vergangenheit jemand zufällig einen Nanobot zusammengebraut, etwa als Nebenprodukt bei der Herstellung von Damaszenerstahl? Ich weiß es nicht. Aber dass hier Wärme im Spiel ist, macht mich stutzig.«
»Wieso das?«
»Eine der Hürden bei der Nanotechnologie – insbesondere im Hinblick auf die Funktionalität der Nanobots – ist die Ableitung von Wärme. Damit eine Nanomaschine funktioniert, muss sie die entstehende Prozesswärme ableiten, und das ist auf Nanoebene ein komplizierter Vorgang.«
Painter fügte im Kopf die Informationsschnipsel zusammen. »Will man Nanobots lahmlegen, braucht man sie also nur an einem warmen Ort zu lagern. Zum Beispiel in einer geothermisch erwärmten Höhle, wo die Temperatur über Jahrhunderte oder Jahrtausende hinweg konstant bleibt.«
»Und wenn es zu einem Unfall kommt«, fuhr Chin fort, »breitet sich der Nano-Herd in alle Richtungen aus – bis die Nanobots zur geothermisch aktiven Schicht vordringen und sich unweigerlich selbst zerstören.«
So unwahrscheinlich das bei oberflächlicher Betrachtung schien, war die Theorie doch erschreckend plausibel. Und gefährlich. Ein solcher Stoff konnte auch als Waffe eingesetzt werden, doch sein eigentliches Potenzial war das Wissen um die Herstellung. Wenn man diesen Prozess beherrschte, stellte er einen unschätzbaren Wert dar.
Nanotechnologie war im Begriff, das nächste große Geschäft des neuen Jahrtausends zu werden, und hatte das Zeug, auf allen möglichen Feldern wie der Medizin, der Elektronik oder der industriellen Fertigung eine Schlüsselrolle einzunehmen. Die Aufzählung ließ sich beliebig fortsetzen. Wer auch immer sich diese Technologie sicherte, beherrschte die Welt von der atomaren Ebene aufwärts.
Dies warf eine bedeutsame Frage auf.
»Wenn Sie recht haben sollten, wer zum Teufel waren dann die Leute, deren Mumien wir in der Höhle entdeckt haben?«, fragte Chin.
Painter sah auf die Uhr. Der einzige Mensch, der diese Frage beantworten konnte, sollte in einer Stunde hier sein. Er besprach noch ein paar Details mit Chin und wies ihn an, vor Ort zu bleiben und das Tal zu überwachen.
Als Painter das
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