Feuerfrau
unser Leben getreten? Weil es einfach so kam? Oder weil Wassilio ihn herbeigerufen hat? Wassilio traute ich alles mögliche zu.
Unsinn. Es ist nur eine Pause in einem Musikstück. Du bist da, lebendig und nahe. Unsere Geschichte geht weiter, eine gerade Linie. Nichts hat sich verändert. Oder doch?
Plötzlich war da Musik: Die Trommel summte, die Lyren warfen mit bebenden Saiten glockenhelle, schwingende Töne in die Stille. Die Melodie war mehr als nur hörbar, sie pulsierte. In einem kleinen Gartencafe, mit Myrthen- und schimmernden Lorbeerzweigen geschmückt, hatten sich die Musiker eingefunden. Der Trommler gab den Rhythmus an, die Lyraspieler hielten ihre Instrumente auf den Knien. Manchmal schwangen sie den Bogen hoch über sich, während sie ihren Atem mit einem wilden »Hah!«
zusammenpreßten. Und unter dem Laubdach, zwischen Tischen und Bänken, tanzten Männer und Frauen einen Reigen. Alle waren durch ein rotes Tuch verbunden, das sie in der Hand hielten; sie formten eine Kreislinie, mit schwingenden Köpfen und Haaren und Hüften, die sich im Takt wiegten. Stavros führte den Tanz an, mit jugendlichem Schwung.
Seine Füße in den klobigen Sonntagsschuhen strichen über den Boden, wirbelten gewandt und mit größter Leichtigkeit, vor- und rückwärts auf den Flügeln der Musik. Er stützte die Hand, mit der Fläche nach außen, in die Hüfte; er allein bestimmte den Rhythmus, dem sich seine Gefährten lachend und mühelos anschlossen. Ein Reigen, so alt wie Griechenland, verwoben, verflochten, um sich selbst drehend wie die Schlange, die ihre Winterhaut abstreift und dem Sonnenkreis folgt. Aus ihrem Tanz sprachen die vielschichtige Vergangenheit, das Gold des Frühlings und die Freude am Leben, aber auch das Dunkel ferner Schemen und Schatten. Rings auf den Bänken saßen alte Leute, tranken Retsina und Ouzo, wiegten die Köpfe im Takt, begleiteten den Rhythmus Händeklatschen und frohem Gelächter.
Anghelina sah uns über den Platz kommen; ihre Ohrringe funkelten, ihr Lächeln leuchtete uns entgegen. Sie warf den Kopf nach hinten, schwang ihren Arm, lud uns zum Tanz ein. Manuel und ich tauschten einen lachenden Blick. Der Reigen öffnete sich. Anghelina und Stavros reichten uns ihr rotes Tuch, das wir ergriffen.
»Schaut auf meine Füße!« rief sie. »Es ist nicht schwer!«
Alle lachten vor Vergnügen, während sie uns die Schritte zeigten, unsere Fehler mit Zurufen und Koseworten verbesserten. Pfiffe und Händeklatschen begleiteten den Tanz. Es war, als hätten wir jeden eigenen Willen verloren. Bald fanden unsere Füße den Rhythmus, bald wurden wir ein Teil dieser Bewegung, eine Welle in der Strömung, die uns weiterzog und in der wir versanken. Das Licht huschte spielerisch über uns, die Lyren jubelten wie Lerchen, trunken von Luft und Sonne, die Trommel pochte in unserer eigenen Brust. Wir verschmolzen mit dem Tanz, mit unseren Träumen, wurden eins mit der Erde, dem Himmel und den ewig lebenden Göttern.
Schließlich trat eine Pause ein; die Musiker legten ihre Instrumente nieder, die Tänzer lachten mit erhitzten Gesichtern, die Zuschauer klatschten Beifall. Anghelina stürzte sich auf uns, riß uns in ihre Arme und küßte uns. Sie lachte, als ob sie sich für immer ihre Jugend bewahrt hätte.
»Auch ihr könnt tanzen! Auch ihr! Gott sei mit euch! So ist es richtig!
Ach, Kinder, tanzt und singt, bis der Erzengel eure Seelen holt!«
Der Wirt, ein lebhafter, flinker Mann, brachte neue Stühle, bot kühlen Wein und Sesamkringel an. Die Frauen fächerten sich mit ihren roten Tüchern frische Luft zu, die Männer trockneten sich die nasse Stirn. Der Garten summte von Stimmen und Gelächter, Stavros kam auf uns zu, ein Weinglas in jeder Hand. Ich stellte ihm Manuel vor. Stavros fragte nicht, was mit Martin war. Ich hatte den Eindruck, daß es ihn nicht sonderlich interessierte.
Er stellte beide Gläser auf den Tisch ab, schüttelte Manuel kräftig die Hand. Das durchgeschwitzte Hemd, die billige Krawatte und der schlecht sitzende Anzug mit den scharfen, frischen Bügelfalten taten seiner Würde keinen Abbruch: In Bronze gegossen, hätte sein Kopf unter den Büsten alter Griechen im Museum seinen Platz gefunden.
»Du tanzt nicht schlecht, mein Sohn. Woher kommst du?«
»Aus Mexiko. Aber ich lebe schon viele Jahre in Europa.«
»Ist es hier anders?«
»Es gibt viele Orte und viele Dinge, die man lieben kann.«
Stavros nickte leicht mit dem Kopf.
»Ein Schlückchen Wein?«
»Ja,
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