Feuerfrau
Kleider klebten vor Schweiß, die Augen schimmerten starr unter den blinzelnden Lidern. Manche warfen den ganzen Körper mit krampfhaften Zuckungen hin und her. Ein alter Mann drehte sich im Kreis, die Arme leicht ausgebreitet; er hielt die Handflächen nach oben, seine Finger krümmten sich ein wenig. Der Oberkörper war völlig ruhig, nur die Füße bewegten sich. Das leicht wogende Kreisen schien ihm überhaupt keine Mühe zu machen, wirkte außerordentlich anmutig und beschwingt. Einer Frau flatterten die Haare wild um den Kopf, klatschten bei jeder Bewegung um ihre Schultern. Die kleine Yulla, von der Mutter gehalten, stampfte mit hochgezogenen Knien; ihr Mund schäumte, während ihr Kopf wie der einer Stoffpuppe schwankte. Ihre Großmutter murmelte vor sich hin, die Augen verdreht, das graue Haar verschwitzt und zerzaust. Das Geräusch der stampfenden Schritte auf den Kieseln erfüllte die Luft. Einige Männer und Frauen trugen die Ikonen aus dem Haus, stellten sie behutsam auf die Bänke, so daß jeder sie sehen konnte. Da trat Stavros aus der Tür, mit einem silbernen Weihrauchgefäß, das er wie ein Pendel schwang.
Zuschauer lösten sich aus dem Kreis, knieten in den Weihrauchschleiern vor den Ikonen nieder und küßten sie. Die Frauen strichen mit ihren Taschentüchern dreimal über die Bilder, wobei sie das Kreuz schlugen.
Dann schoben sie das Tuch in den Ausschnitt ihrer Kleider. Manuel und ich standen abseits, betrachteten schweigend das Geschehen. Inzwischen befestigte Androkles zwei brennende Kerzen an den Hörnern des Stierkalbes.
Stavros bewegte das Weihrauchgefäß vor dem Tier und machte das Kreuzzeichen zwischen seinen Hörnern. Nun löste Androkles die Leine und zog leicht daran; das Stierkalb folgte ihm, mit wiegenden Schritten. Zwei Helfer hoben die gefesselten Tiere auf ihre Schultern. Nun setzten sich alle in Bewegung.
Wir drückten unsere Zigaretten unter dem Absatz aus und schlossen uns dem Zug an. An der Spitze schritt langsam und gemessen Stavros, im engen schwarzen Anzug, mit staubigen Schuhen, und bewegte das Weihrauchgefäß an der silbernen Kette. Hinter ihm wurden die Opfertiere geführt: zuerst das Stierkalb, dann das Zicklein und das Lamm, auf den Schultern getragen. Die Musiker folgten, tänzelnd und graziös. Die Lyraspieler schwangen ihren kräftigen Bogen. Der Trommler, mit einer Rose hinter dem Ohr, ließ die »Daouli« in seinen flinken Händen hüpfen.
Die Anastenariden hielten die Ikonen hoch, schwenkten ihre roten Baumwolltücher. Sie bildeten eine lange Reihe, den Staub unter den stampfenden Füßen aufwirbelnd, wobei ihre Schatten ihnen vorauseilten.
Am Schluß des Zuges kamen die Zuschauer: Dorfbewohner, Auswärtige und Touristen, mit Fotoapparaten und Videokameras versehen. Martin war nirgendwo zu sehen. Hoffentlich kommt er nicht, dachte ich, dann brauche ich mir über den Rest des Tages keine Gedanken zu machen. Aber diesen Gefallen würde er mir nicht tun.
Eine Turmglocke schlug mit hellem, silbernem Klang, als der Zug einen gepflasterten Platz erreichte, in dessen Mitte eine verkrüppelte Pinie stand.
Unvermittelt verstummte die Musik. Die Anastenariden drängten sich im Kreis, warteten schweigend in der prallen Sonne. Manche waren außer Atem, einige alte Leute standen auf unsicheren Beinen. Die Jüngeren stützten sie. Eine plötzliche Erregung lag in der Luft. Manuel kniff die Augen zusammen und schüttelte leicht den Kopf. Ich sah ihn an, und er sagte:
»Die dunkle Seite unserer Entwicklung verlangt solche Dinge. Was für rätselhafte Wesen wir doch sind!«
Androkles streckte die Hand aus; der ältere der beiden Helfer legte ein großes Messer mit glänzend geschliffener Schneide hinein. Bevor er zustieß, legte Androkles die Hand auf den Kopf des jungen Stieres und drückte ihn fest herunter. Er wartete, bis das Stierkalb den Kopf senkte und mit leichten Ruck wieder hob. Manuel warf mir einen fragenden Blick zu.
»Das Opfer soll seine Zustimmung geben«, erklärte ich ihm. »Früher galt es als schlechtes Omen, wenn das Tier sich wehrte. Man hätte ein anderes herbeigeführt.«
»Ich glaube kaum«, meinte Manuel, »daß das Tier eine Wahl hat.«
Androkles packte das Messer, betastete kurz die Schneide. Er zerrte den Kopf des Stieres nach rückwärts. Mit harter, knapper Bewegung durchschnitt er dem Stier die Kehle. Solche Szenen hatte ich früher in Montereale Celina erlebt, wenn einmal im Jahr der Metzger kam, um das Schwein zu schlachten. Ich
Weitere Kostenlose Bücher