Feuerfrau
hatte aufmerksam zugeschaut, wie Kinder das tun. Das Brüllen des Schweins klang mir jetzt noch in den Ohren, doch das Stierkalb starb schweigend. Es schwankte und fiel schwer auf die Seite; sein dunkles Blut tränkte die Erde. Das Zicklein und das Lamm wurden auf gleiche Weise getötet. Mir fiel auf, daß Manuel die Augen abwandte.
Inzwischen zogen die Helfer Stricke durch die Zweige, hängten die drei Tiere mit den Köpfen nach unten an den Baum und häuteten sie. Androkles schnitt ihren Leib in seiner ganzen Länge auf, warf Gedärme und Innereien in einen großen Eimer. Nach einer Weile verstreuten sich die Anastenariden, wanderten verträumt über den Platz, als ob der Anblick des Blutes und der süßliche Geruch sie von ihrer Trunkenheit befreit hätte.
Manche streckten sich die Hände entgegen, hängten sich ineinander ein. Sie gingen zu zweit oder zu dritt, schweigend oder leise das Tanzlied summend. Die kleine Yulla taumelte an uns vorbei, von Mutter und Großmutter fest an den Armen gehalten. Manuel schob die Hände in die Jeanstaschen.
»Als ich jünger war, habe ich den Rückzug in die Vergangenheit gerne gegen meine Lebensangst eingesetzt. Heute sage ich mir, wenn schon Flucht, dann lieber in die Zukunft. Warum sollen wir uns die Welt, die wir wollen, nicht neu erfinden?«
Ich lächelte.
»Ja, aber dazu braucht es ein bißchen Verrücktheit.«
Er lächelte ebenfalls, aber nicht richtig von Herzen.
»Als Mexikaner fühle ich mich diesen Menschen sehr nahe. Mit einem Unterschied: Ich glaube, es gibt kaum eine Kultur, die so vollständig ausgerottet wurde wie die unsrige. Ein rasches, kurz aufflammendes Leuchten – und es war vorbei. Übriggeblieben ist ein Vakuum, in das dann die neue, andere Kultur eindrang, ich meine die christlich-abendländische.
Wir, die ersten Kinder Amerikas, hören nicht mehr die Stimmen der Verstorbenen. Hier aber sind Menschen, die ihre Götter sehen, wenn sie sie sehen wollen. Ihr Dasein wird getragen von einer sehr alten Strömung. Sie kommen von weit her und leben. Ich aber muß neu geboren werden…«
Er sprach in seiner ruhigen, etwas schleppenden Art. Er nahm sich Zeit; auch er war verwirrt. Mit einem schmerzlichen Herzpochen wurde mir bewußt: Auf irgendeine Weise ist er mit dir und mir verbunden, Amadeo.
Auch er ist ein Reisender im eigenen Leben. Einer, der sich selbst verloren hat. Das Leben der Dinge und der Wesen ringsum stand plötzlich still. In dieser Minute wurde der Gedanke zur Überzeugung: Unsere Welt hat nicht aufgehört zu bestehen, sie war in Unordnung geraten. Vergeblich sagte ich mir, dies sei im Grunde nur so ein Ruf aus dem Unbekannten, worauf ja gewöhnlich nichts weiter geschieht. Aber das war es nicht. Überhaupt nicht. Ich mußte herausfinden, was das zu bedeuten hatte.
»Es wäre mir wirklich nicht recht«, sagte Manuel, mit Spott in der Stimme, »wenn ich jetzt plötzlich in deinen Augen als Trottel dastünde.«
»Das habe ich niemals gedacht.«
»Ich habe die Neigung«, sagte er, »mich höchst impulsiv in viele Dinge zu versetzen. Das hat den Nachteil, daß man sich lächerlich macht. Die Tiere taten mir leid. Der Metzgersohn dachte natürlich, da ist wieder so ein überspannter Tourist, der einen Braten streichelt. Aber die Herztöne eines Tieres klingen wie die der Menschen, nicht anders. Das Tier weiß, daß es Angst hat und daß seine Angst begründet ist.«
»Als du das Zicklein gestreichelt hast, beruhigte es sich. Es spürte, daß du es gern hattest.«
Er blinzelte schelmisch.
»Liebe kann Provokation sein, ein Akt der Unabhängigkeit.«
Ich spielte mit seiner Hand.
»Sie wird oft mit Gehorsam verwechselt.«
Er lachte leise.
»Glaubst du, daß wir freier sind?«
»Mir scheint, du bist sehr unabhängig.«
Er ließ die weißen Zähne blitzen.
»Du aber auch.«
Das Jugendliche kam schnell bei ihm wieder zum Vorschein. Ich hatte ein trockenes Gefühl im Mund; der Mensch, mit dem ich sprach, nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Er befaßte sich gleichzeitig mit den nahen, den eigentlichen Dingen und mit etwas, das auf einer anderen Ebene lag. Sein Geist umkreiste mich wie ein Irrlicht; ich, die immer auf der Flucht war, wurde zum Stillstand gezwungen. Das war ich von keinem gewöhnt, außer von dir. Er hatte dieser Kraft, die ich zu besitzen glaubte, einen schweren Schlag versetzt. Meine Ruhe, meine Heiterkeit hingen plötzlich auch von ihm ab. Verstehst du, wie mir zumute war, Amadeo?
Warum ist dieser Mann in
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