Feuerfrau
das Oberdeck gingen. Das Schiff befand sich auf hoher See; das Meer war so tief und dunkelblau, daß es fast schwarz schimmerte. Sogar der Wind schien eine blaue Farbe zu haben. Fliegende Fische schnellten wie Silberpfeile aus den glatten Wellen empor, und eine Zeitlang begleiteten uns, hüpfend und schnaufend, zwei große Tümmler. Sie rollten sich im klaren Wasser, wirbelten in drehenden Bewegungen durch die Wellen. Wir waren von ihrer Anmut entzückt. Die Touristen saßen auf Tauen, rekelten sich auf Segeltüchern, rieben sich mit Sonnenöl ein. Sie schienen von dem einzigen Wunsch besessen zu sein, braun zu werden. Einige Matrosen beobachteten unbefangen die halbnackten Schönen, wobei sie deren Vorzüge äußerst detailreich verglichen. Wir gingen in den kleinen Speisesaal, in dem es nach Essendunst und abgestandenem Rauch roch. Der Kellner teilte uns mit, um diese Zeit gebe es nur noch Kartoffelsalat. Wir bestellten Bier dazu. Der Kartoffelsalat schmeckte ölig, aber der dazu gereichte Schafskäse, »Feta«, mit Oliven und Tomaten war köstlich und frisch. Wir waren beide hungrig und aßen mit Appetit. Die Seeluft wehte durch das offene Fenster über unsere Gesichter; ruhig und heiter sprachen wir über die bevorstehenden Tage und über Santorin.
»Worin besteht deine Arbeit?« fragte Manuel.
Ich trank einen Schluck Bier.
»Der Thera-Vulkan brach zuletzt 1950 aus, nur ein Warnschuß im Vergleich zu dem Ausbruch, der 1500 vor Chr. die Zykladen erschütterte.
Da flog die halbe Insel in die Luft. Die Explosion schuf eine bis zu sechzig Meter hohe Bimssteinschicht. Unser Institut sammelt Fakten für die Messungen von Temperaturenkurven in historischer Zeit. Ich untersuche die Bimssteinschichten nach Spuren von Pflanzen, Insekten und Meerestierfossilien.«
»Macht das Spaß?«
»Nicht immer. Es ist schon so, daß der größte Teil der Arbeit im Labor stattfindet. Ich arbeite lieber an tätigen Vulkanen.«
»Ist das nicht gefährlich?«
»Wir haben besondere Schutzanzüge und Gasmasken, wegen des Kohlendioxids. Ich war auf dem Stromboli und habe eine Zeitlang auf Island die Geysire beobachtet.«
»Interessant?«
»Da war nicht viel los. Spannender war die Reise, die unser Team zum Piton de la Fournaise, auf der Insel Reunion, machte. Dieser Vulkan ist ein sogenannter hat spät, eine ›heiße Stelle‹ – sie ragt als Insel aus dem Meer.«
Er kniff die Augen zusammen.
»Du bist gerne dort, wo es heiß ist…«
Ich lachte ein wenig.
»Das haben mir schon andere gesagt.«
»Wie ist das, wenn man einen Schutzanzug trägt?«
»Unangenehm. Die Sicht ist eingeschränkt, man geht unbeholfen, stößt an alle möglichen Gegenstände. Ich entsinne mich noch gut, wie ich zum erstenmal über ein verhärtetes Lavafeld stapfte und vor einem ›Fenster‹
stand…«
Er hob fragend die Brauen.
»Das ist ein Loch«, erklärte ich ihm, »in dem flüssige Lava brodelt. Als ich mein Thermoelement – das ist eine besondere Metallstange – in den Lavastrom tauchte, da fühlte ich es zum erstenmal…«
Ich stockte. Er betrachtete mich aufmerksam.
»Ja, was denn?«
»Daß unser Planet ein Lebewesen ist. Ein Riesenorganismus, der im Weltenraum schwebt und mit Feuerlungen atmet. Ich verstand plötzlich die Sinnlosigkeit, solche Naturgewalten irgendeinem göttlichen Willen zu unterstellen: Das Feuer selbst war Gott.«
Er nickte ruhig.
»In unserer alten Religion war der Feuergott Huitzilopochtli gleichzeitig Kriegs- und Fruchtbarkeitsgott, lebensspendend und zerstörend, wie das Feuer ja auch ist.«
»Früher«, sagte ich, »schufen die Menschen ihre Götter nach den Vorbildern der Natur. Religionen mochten gewalttätig sein. Als man sie mit Moralbegriffen befrachtete, wurden sie zudem noch langweilig.«
Wir lachten beide, bevor er nachdenklich sagte:
»Wir Mexikaner sind keine Europäer und ebensowenig Amerikaner.
Wir sind Menschen mit starken Träumen. Hier in Griechenland fühle ich mich heimisch. Wo die gleichen Vorgänge der Natur das menschliche Leben prägen, entstehen zwangsläufig übereinstimmende Urbilder. In Griechenland finde ich die gleichen Symbole wie in Mexiko: Höhle, Brunnen, Glücksgöttin, Feuer, Schlange, Spiegel. Sogar den Totenkult.«
»Ach«, rief ich überrascht, »feiert ihr auch die fünf ›Seelen-Samstage‹?«
»Nur den 1. November, das Datum entspricht der christlichen Religion.
Aber der Ritus ist derselbe wie im orthodoxen Griechenland: Die Angehörigen besuchen die Friedhöfe,
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