Feuerfrau
Schuld ist. Und siehst du, als du heute abend von deinen Eltern sprachst, da fühlte ich wieder diesen Schmerz…«
»Weil ihre Geschichte dich an deine erinnerte?«
»Ja. Bei Amadeo und mir ist es genauso. Wir sehen uns wieder, nach langer Trennung, und jeder weiß sofort, was der andere denkt. Wir sind völlig aufeinander eingespielt. Hör zu… ich muß dir etwas sagen: Die Männer, mit denen ich schlafe, sie bedeuten mir nichts. Martin hat dir die Wahrheit gesagt. Ich benutze meine Lover nur, um zum Orgasmus zu kommen. Ich schließe die Augen und denke an Amadeo.«
»Bei mir nicht. Bei mir hattest du die Augen offen.«
Manuels Stimme klang gleichmäßig, als hätte ich nichts Besonderes gesagt. Aber es war schwer zu ahnen, was er eigentlich dachte.
»Nein. Dich wollte ich sehen. Ich habe Amadeo mit dir zum erstenmal betrogen. Und was wird jetzt aus mir? Was soll ich tun? Das hier bedeutet doch was!«
Vor lauter Verzweiflung hatte ich Halsschmerzen. Ich hatte diesem Mann mein Geheimnis anvertraut. Morgen würde er mich verabscheuen und ich mich verfluchen. Und so sagte ich bitter:
»Ich bin sehr aufrichtig, Manuel. Amadeo und ich werden uns niemals ändern. Wir sind egoistisch und unmenschlich. Es ist besser, du gehst uns aus dem Weg.«
Er lehnte sich zurück, um mir ins Gesicht zu sehen.
»Erzähle von ihm.«
Er gab mir damit das Stichwort. Die quälende Lust zu reden war nicht mehr aufzuhalten. Sei ruhig, wiederholte ich mir innerlich, sei ruhig, du kannst dich nicht so gehenlassen. Ich erzählte von Amadeos Familie, von seiner Jugend, von seiner Begegnung mit Wassilio und seiner Arbeit im Zirkus.
»Und wo hast du ihn kennengelernt?«
»In Paris, er trat als Feuerschlucker auf«, sagte ich, fast lachend. »Ich bin zu ihm gegangen und habe gesagt, daß sein Trick nichts wert sei. Ich war fünfzehn Jahre alt.«
»Und dann?« fragte er.
Ich hob ein wenig den Kopf und blickte ihn an, erschrocken.
»Dann wurden wir verrückt vor Liebe zueinander.«
Er sagte nichts. Ich sprach weiter, verstört von all dem Erinnern.
»Er gleicht niemandem. Er ist einzigartig. Er gehört zu denen, die echt sind. Er ist hochmütig wie ein Zigeuner und empfindsamer, als eine Frau es je sein kann. Er ist stark und tief verletzlich. Er hat den Schmerz in allen seinen Aspekten erlebt. Jetzt geht er durch diese Welt, ohne sie zu berühren, und schafft sich selbst seine eigene Welt. Es fällt ihm leicht, das Leben, das er nicht sehen will, zu ignorieren. Er ist ein Mann, der Sinnbilder gestaltet, sie in Formen und Farben und Musik verwandelt. Er ist ein Künstler, auf seine ganz besondere Art. Und für solche Menschen empfindet man auch eine ganz besondere Liebe.«
Er nickte ernst.
»Ja, ich verstehe.«
Mit einer heftigen Bewegung preßte ich ihn an mich.
»Ich hätte dir etwas vormachen können. Aber ich wollte kein Lügengespinst zwischen uns.«
»Ich bin froh, daß du mir von ihm erzählt hast. Jetzt kenne ich dich besser.«
Darum hatte ich zu ihm gesprochen, um mich zu erkennen zu geben. Es war nicht, weil ich fürchtete, ihn zu verlieren, oh nein, ich verstand sehr wohl, einen Mann zu verführen. Es war, weil ich ihm kein Leid zufügen wollte und nicht wußte, wie ich ihn anders davor bewahren konnte. Doch er lächelte nun; und was empfand ich jetzt? Ein neues Gefühl, eine Unbekümmertheit, die alle Schwere von mir nahm. Und doch bist du immer da, Amadeo. Du wirst immer bei mir sein, mich niemals verlassen…
Das Reden fiel mir plötzlich leicht.
»Als wir uns das letzte Mal sahen, da sagte er mir, ich sollte mir einen Mann suchen. Er wollte nicht mehr, daß ich allein blieb. Und wenn er vor Kummer sterben müßte, sei es nicht weiter schlimm. Ich sagte, das sei unmöglich, undenkbar. Und jetzt…«
»Ja?« fragte er, als ich stockte.
»Jetzt bist du da, und ich denke nicht mehr nur an ihn, sondern auch an dich…«
Ich verbarg mein Gesicht hinter den Händen.
»Ich möchte euch beide lieben. Zusammen. Gleichzeitig. In einem Bett.
Bis ich keinen Unterschied mehr sehe zwischen seinem Körper und deinem, nicht den geringsten Unterschied mehr…«
Dann Stille. Benommenheit wie nach einem Schlag. Ich hatte es gesagt.
Hatte mich dazu gezwungen, in Worte zu fassen, was ich stets empfunden hatte, seitdem ich Manuel begegnet war. Liebe, so hieß es, ein unbegreiflicher, unberechenbarer Vorgang. Was für einen Unterschied machte es in meinen Gefühlen für ihn oder für dich? Warum mußte ich mich für diese oder
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