Feuerfrau
Lava und Feuer ausbrechen, um die Trümmer seiner alten Behausung zu zerstören und die Materie für neue Lebenszyklen zu formen.
Auf holprigen Wegen fuhren wir nach Oia, eine Ortschaft, die das letzte Erdbeben fast völlig zerstört hatte. Die Bars und Tavernen waren ruhiger als in Thera, die Touristen weniger aufdringlich. Die weißen Häuser klebten am Hang, seltsam anzuschauen zwischen den Ruinen, die langsam wieder zum Fels wurden, schon ein Teil von ihm waren, mit der Erde verwachsen. Und immer war das Meer da, wechselnd in Farben und Licht, mit dem langsamen Schwingen vom Morgenrot zur Abenddämmerung.
Durch den Ausbruch des Vulkans war eine Caldera – ein Einbruchskessel –
entstanden. Das einströmende Meer hatte die Lagune gebildet. Ringsum ragten die Klippen, schroff in ihrer Kahlheit. Kein Baum wuchs hier, kein Strauch. Es waren die Felsen des kalten Todes, des unbeweglichen Lichtes; eine Landschaft, die nicht mehr zum Reich der Menschen gehörte.
Vergeblich hätte man eine Spur von Leben gesucht, nicht einmal Eidechsen fanden hier das wenige Wasser und Grün, das sie zum Überleben brauchten. In zahlreichen Windungen schob sich die Piste die Hänge entlang. Am Fuß der Klippen schlummerten graue Strande. Touristen hatten ihre Handtücher ausgebreitet, um die Berührung mit dem heißen, grobkörnigen Boden zu vermeiden. Boote lagen am Strand, wie tote Vögel auf Asche.
Bei meinen Untersuchungen stellte ich fest, wie groß der Anteil Kieselsäure im Bims war. Kieselsäure entsteht, wenn das zähflüssige Magma beim Ausstieg im Vulkanschlot schäumt und die Fetzen mit Wucht durch die Luft geschleudert werden. Hier mußte die Explosion ungeheuerlich gewesen sein. Manuel hörte aufmerksam zu, während ich ihm diese Dinge erklärte. Er war stets an meiner Seite, gutgelaunt, mit wachen Augen alles beobachtend. Er besaß einen untrüglichen sechsten Sinn dafür, wenn ich Ruhe brauchte, um mich mit Vermessungen zu befassen oder Beobachtungen zu protokollieren. Ich tat es meistens an Ort und Stelle, damit ich die Notizen – soweit erforderlich – mit Skizzen ergänzen konnte. Inzwischen saß Manuel gelassen da oder schrieb in sein Tagebuch. Manchmal war ich stundenlang beschäftigt, aber Manuel verfügte über eine unendliche Geduld. Es machte ihm auch nichts aus, zu schweigen.
Wir fuhren nach Akrotiki, zur Ausgrabungsstätte, die eine Überdachung vor klimatischen Schwankungen schützte. Hier ruhte unter Vulkanasche und Bimsablagerung eine Stadt, die vor drei Jahrtausenden bei der Eruption vernichtet worden war.
»Wir müßten hundert Jahre arbeiten, um das Gelände gänzlich zu erforschen«, sagte Haris Makratis, der junge Archäologe, der uns durch die Ausgrabungen führte. »Mit besserer finanzieller Unterstützung könnten wir die Zeit um die Hälfte verkürzen. Aber wozu die Eile? Die Geheimnisse unter der Erde warten. Tausend Jahre sind für sie wie ein Tag.«
»Und die Toten?« fragte Manuel. »Rufen sie manchmal?«
Haris Makratis war Grieche. Er fand die Bemerkung nicht sonderbar.
»Nein. Ihre Stimmen sind verstummt. Es ist schon zu lange her.«
Als er erfuhr, daß Manuel sich für Töpferei interessierte, zeigte er uns Scherben, an denen noch Reste von Malereien sichtbar waren, wundervolle Motive von Blumen, Fischen und Meerestieren.
»Die Minoer liebten das Leben in all seiner Fülle. Ihr Sinn für Schönheit war unvergleichlich. Sie kannten diese Erde, als sie noch jung war. Wenn ich sehe, was wir aus ihr gemacht haben, beneide ich sie darum.«
»Es muß eine wundervolle Zeit gewesen sein«, sagte ich. Die Augen des jungen Mannes schimmerten nachdenklich.
»Völker, die das Schöne lieben, sind gefährdet. Das war schon immer so. Nicht alle Menschen erreichen zur gleichen Epoche die gleiche geistige Entfaltung. Jene, die sich für das Schöne begeistern, sind reifer. Ihre Lebenskräfte dienen der Kunst, der zivilisierten Gestaltung des Daseins.
Während sich die Lebenskraft heranwachsender Völker vor allem der Macht und Eroberung zuwendet. Sie sind letztlich die Stärkeren, denn sie setzen, um Krieg zu führen, die gleiche schöpferische Kraft ein. Das ist kein Widerspruch, und es hat sich auch bis heute nichts daran geändert. Mit diesem Gedanken müssen wir leben.«
»Wir können keine Paradiese schaffen«, sagte Manuel. »Wir können sie nur in uns selbst finden, durch Träume.«
Haris blickte ihn an, nickend. Wir wanderten auf Brettern über die Ausgrabungen. Es roch nach
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