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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Gips, Asche und feuchter Erde.
    »Sie haben recht«, sagte er. »Träume gehören zum Menschen. Träume von Schönheit oder Träume von Kampf. Unsere Gattung braucht beides.
    Organisierte Brutalität kommt schnell zum Ziel. Aber sobald wir den Sieg errungen haben, beginnen wir, das Schöne zu lieben. Die Evolution geht weiter. Und hinter den bemalten Türen lauern neue Hyänen.«
    »Aber die Vulkane sind stärker«, warf Manuel ein.
    Haris lachte still vor sich hin.
    »Ja, natürlich. Und sehen Sie, dieser Gedanke wirkt tröstend. Dem Menschen werden Grenzen gesetzt, durch Gott. Das Böse in ihm braucht diese Grenzen.«
    Draußen empfing uns die Sonne, warm nach der Kühle in der Ausgrabungsstätte. Goldstaub flimmerte in der Luft. Wir blinzelten geblendet. Ich sagte:
    »Es stimmt schon, wir spüren kaum noch die richtige Erde unter den Füßen. Wenn wir uns zu sehr der Natur entfremden, werden wir hart.«
    »Wir haben die Orientierung verloren«, sagte Manuel. »Wir lieben nicht mehr die Erde, wir sprechen nicht mehr zu ihr. Das ist ein großer Fehler.
    Wenn ich einen Klumpen Tonerde in die Hand nehme, spüre ich, daß ich ein Teil von ihr bin, obwohl ich es bin, der sie formt. Das ist ihr Geheimnis, und darin liegt eine große Anziehungskraft.«
    Wir sprachen viel in diesen Tagen und Nächten. Unser gegenseitiges Erkunden und Erkennen vollzog sich auf einer Insel, die von fernabliegenden Uranfängen ihre Geheimnisse barg, wie Schätze im Dunkeln. Der Rahmen von Asche und Stein gab den bunten Häusern den gleichen Wert wie den verschütteten Palästen und Heiligtümern: den Wert des Vergänglichen. Der Mensch war unbedeutend. Nur die Erde zählte.
    Normen und Vorschriften waren wandelbar; die Erde zwang dem Menschen ihre eigene Wahrheit auf. Hier, auf dieser Insel, ragte etwas anderes in unsere Welt: die freie Welt des Unsichtbaren, den menschlichen Gesetzen fremd und fern.
    In dieser Zeit sprach ich viel von dir, Amadeo. Einer Zauberin gleich, die eine Traumgestalt in Blut und Leben verwandelt, beschwor ich dein Bild vor Manuels Augen. Wie ich ihm meinen Körper öffnete, so öffnete ich ihm auch meine Seele. Die Erinnerungen, die ich mit ihm teilte, brachten die Düfte und Geräusche meiner Jugend zurück: die mächtigen Stierherden der Camargue, die Lagerfeuer der Guardians – der Viehhirten
    –, die Gebete der Romanos vor ihrer Schutzpatronin, der »Schwarzen Sara«. Ich sprach von Quasimodo, dem hochmütigen Rappen, von dem jungen Mann, damals, der mich in seinen Armen hielt: von dir. Du hattest so ein ernstes Gesicht, Amadeo; es fiel schwer zu glauben, daß deine Augen so fröhlich blitzen konnten, daß dein Lachen so hell und so warm war…
    Ich erwartete nicht, daß Manuel alles verstand; aber er sollte wissen, daß ich etwas zu hüten hatte, Erinnerungen, für die man sterben konnte. Wer konnte schlafen, wenn die Träume nicht süß waren? Die Liebe setzt Träume in Bewegung; sie kann zu einem Akt totaler Unabhängigkeit werden, zu einem Anderssein. Manchmal, wenn Manuel mich liebte, rief ich deinen Namen. Die Erinnerung glitt auf mich zu, ohne daß ich es wollte, fand mich durch die Wärme meines Körpers, durch das Klopfen meines Blutes in den Adern. Dann lächelte er und beugte sich tiefer über mich. Sein Angesicht erfüllte meinen Horizont. Und hinter ihm kamst du zum Vorschein. Beide Gesichter, durchsichtig geworden, glitten ineinander, bildeten ein einziges. Und ich wußte, würde ich morgen dich lieben, wäre es gleichsam Manuels Gesicht, das ich sehen würde. Ein Wunder war geschehen: Ich hatte zwei Menschen in einen einzigen Körper verwandelt, der mir so nahe stand wie mein eigenes Fleisch und Blut.
    Abends schlenderten wir die schmalen Bergpfade entlang. Die Nächte waren milde und feucht, das Meer schwarz wie Pechkohle, und die Steine beleuchteten die Klippen mit silbernem Schein. Es roch nach Holzkohle, Salzwasser und Geißblattblüten. Wir zerrieben wilde Minze und Thymianstengel zwischen den Fingern, um den süßen Duft zu riechen.
    Fledermäuse zuckten im Gleitflug über die Felsen; im tiefen Dunkel der Büsche sang süß und perlend eine Nachtigall.
    Einmal saß eine Eule mit großen Goldaugen auf einem Zweig; wir dämpften unsere Schritte, um sie nicht aufzuscheuchen. Sie starrte uns an, furchtlos, bevor sie ihre Flügel ausbreitete, weich und lautlos flatternd in die Nacht tauchte. An solchen Abenden kam es vor, daß Manuel Flöte spielte. Er trug das Instrument immer bei sich, in der

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