Feuerherz
in Spanisch zu spät zu sein war noch viel schlimmer. Kennt ihr das, wenn einen alle anstarren? Von Ilian angesehen zu werden klang zwar verführerisch, aber bitte nicht vor der ganzen Klasse, wo jeder beobachten konnte, wie ich hochrot anlief!
Eiligen Schrittes überquerte ich den Schulhof und bog um die Ecke, um in das kleine Nebengebäude in der Nähe des Parks zu kommen, wo sich meine Spanischklasse befand. War das …? Ja, da saß Ilian auf der Mauer vor dem Eingang in der Sonne und las. Ich blieb augenblicklich stehen und fühlte mein Herz in die Hose rutschen. Er war alleine … ohne sein Gefolge … ohne seine Freundin Arva. Seine braune Lederjacke diente ihm als Kissen im Rücken, während er die Beine auf der Mauer ausgestreckt und an den Füßen lässig überkreuzt hatte. Seine Mimik wirkte konzentriert. Was las er da? Das musste ich beim Näherkommen unbedingt herausfinden. Gooott, er trug nur ein einfaches graues T-Shirt und Jeans und trotzdem sah er einfach nur ... ich hätte ihn fressen können … auf der Stelle. »Das Lied von Eis und Feuer. Die Königin der Drachen« konnte ich gerade noch erkennen, bevor er aufsah. Ich blieb so erschrocken stehen, als hätte man mich angeschossen. Die braunen Augen brauchten einen Moment und lächelten mich dann über den Rand des Buchs hinweg an.
»Spanisch fällt aus«, teilte er mir mit seiner warmen, dunklen Stimme mit.
Ich versuchte mein Herz wieder an seine richtige Stelle zu schieben und atmete tief durch. »Na toll und dafür habe ich mich so beeilt!«
Er legte das Buch auf seinen Schoß. Mann, da säße ich jetzt gerne! Ich fuhr mir durch die Haare und tat so, als wäre ich total aus der Puste.
»Na ja, besser so als ein Eintrag wegen Verspätung«, plapperte ich weiter, rückte meine Kleidung zurecht und vermied es ihn anzusehen. »Viel Spaß beim Lesen!«, wünschte ich ihm hastig und verschwand im Gebäude. Die dunkle Kühle dort empfing mich gerade noch rechtzeitig, bevor ich ohnmächtig werden konnte. Ich blieb mit dem Rücken zur Tür stehen und schnappte mir mein Handy. Verzweifelt begann ich eine SMS an Conny, als mir bewusst wurde, dass ich ihr nicht davon berichten konnte. Wie auch? Sie hasste Ilian!
Ich roch ihn, bevor ich ihn sah. Den Duft seines Aftershaves hätte ich überall erkannt. Ich hatte es mal in seiner Tasche gesehen und … ja ja … ich habe es mir gekauft. Aber wisst ihr was? An ihm roch es tausendmal besser! Er quetschte sich an mir vorbei, weil ich noch immer die Tür blockierte und lächelte mich einen Moment lang an, bevor er weiterging und im Klassenraum verschwand. Ich brauchte dringend einen Defibrillator! Seine Augen … sie waren so wunderschön braun. Ich bekam Hunger auf Schokolade.
Im Klassenraum fand ich ihn bei seiner Freundin Arva wieder. Blond, schlank, wunderschön … perfekt eben. Da er mich keines weiteren Blickes würdigte (warum auch?), steuerte ich auf meinen Platz zu. Kaum hatte ich mich auf diesen Mischling von Tisch und Stuhl in einem gesetzt, drehte sich Sven zu mir um. Dieser Kerl war so notgeil wie eine ganze Wagenladung Ex-Knackis.
»Hey Lissy, geiler Ausschnitt«, teilte er mir kaugummikauend mit.
»Behalt deine Augen bei dir, Sven!«, fauchte ich.
Als Ilian nun geschmeidig auf dem Stuhl neben mir Platz nahm und sich wieder seinem Buch widmete, hatte ich das Gefühl, seine Gegenwart in jeder Faser meines Körpers spüren zu können. Ich stöpselte mir meine Kopfhörer in die Ohren, um Sven zu verstehen zu geben, dass ich keinen Bock darauf hatte, mir mit ihm ein Wortgefecht zu liefern.
Nicht, dass ich nicht mit ihm mithalten könnte. Ich war unter Männern groß geworden. Mein Vater war Dachdecker und arbeitete auf dem Bau. Mein großer Bruder und er hatten über die Jahre hinweg eine recht vulgäre Sprache entwickelt, von der auch ich nicht verschont geblieben war. Papa ging mit uns um wie mit seinen Kollegen und nahm nur selten ein Blatt vor den Mund. Manchmal hatte er in den Sommerferien Thomas und mich mit zur Arbeit genommen. Da lernt man als Mädchen sehr schnell den Umgang mit Kerlen wie Sven. Eine weibliche Person, die mir beigebracht hätte, wie man sich als anständiges Mädchen zu benehmen hatte, war in meiner Kindheit nicht zugegen gewesen. Vielleicht war es auch gerade das, was Typen wie Sven so zu mir hinzog? Die Tatsache, dass ich ohne Probleme Wörter wie Pimmel in den Mund nehmen konnte? Oder war ich einfach nur eine verdammt heiße Schnecke? Das musste es sein! Ich
Weitere Kostenlose Bücher