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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Kanone werden … nein, zu einem geladenen Flammenwerfer. Er würde das Mädchen beobachten und nichts dagegen tun, daß sie sich mit ihrem Vater traf. Was würde dann geschehen? Wer konnte das wissen?
    Und würde dieses Wissen nicht den ganzen Spaß verderben?
19
    Am gleichen Abend fuhr Rainbird nach Washington und fand einen jungen Anwalt, der zu dieser späten Stunde noch arbeitete. Diesem Anwalt gab er dreihundert Dollar in kleinen Scheinen. Und im Büro des Anwalts regelte er seine wenigen Angelegenheiten, um für den nächsten Tag gerüstet zu sein.

Feuerkind
1
    Mittwoch stand Charlie McGee morgens um sechs Uhr auf, zog ihr Nachthemd aus und ging unter die Dusche. Sie seifte sich ab, wusch sich die Haare, drehte auf kalt und blieb noch eine Minute zitternd unter dem Strahl stehen. Dann rieb sie sich trocken und zog sich sorgfältig an – Baumwollslip, Seidenslip, blaue Kniestrümpfe, Drellanzug. Zuletzt stieg sie in ihre ausgetretenen Mokassins.
    Sie hatte nicht gedacht, daß sie die ganze Nacht so gut schlafen würde; sie war voller Angst und in nervöser Aufregung ins Bett gegangen. Aber sie hatte geschlafen. Unablässig hatte sie geträumt, aber nicht von Necromancer und dem Ritt durch die Wälder, sondern von ihrer Mutter. Das war sonderbar, denn sie dachte in letzter Zeit nicht mehr so oft an ihre Mutter wie früher; manchmal hatte sie ihr Gesicht nur in vager Erinnerung. Aber in den Träumen der letzten Nacht hatte das Gesicht ihrer Mutter – ihre lachenden Augen, ihr hübscher, freundlicher Mund – so deutlich vor ihr gestanden, als hätte Charlie sie erst einen Tag vorher gesehen. Jetzt, da sie angezogen und auf den Tag vorbereitet war, zeigte ihr Gesicht nicht mehr die verkniffenen Falten der Anspannung.
    An der Wand neben der Tür, die zur Küche führte, war unter dem Lichtschalter eine Glanzchromplatte angebracht, in die ein sprechgitter mit einem Rufknopf eingelassen war. Sie drückte auf den Knopf.
    »Ja, Charlie?«
    Den Mann, dem die Stimme gehörte, kannte sie nur als Mike. Um sieben Uhr – in etwa einer halben Stunde – würde Mike verschwinden, um von Louis abgelöst zu werden.
    »Ich gehe heute nachmittag in den Stall zu Necromancer. Sagen Sie das den Leuten bitte?«
    »Ich werde Dr. Hockstetter einen Zettel hinlegen, Charlie.«
    »Danke.« Sie schwieg einen Augenblick. Man kennt ihre Stimmen. Die von Mike, Louis und Gary. Man macht sich eine Vorstellung von ihrem Aussehen, genauso wie man sich vorstellt, wie die Discjockeys aussehen, die man im Radio hört. Man mag sie sogar. Plötzlich wurde ihr klar, daß sie höchstwahrscheinlich nie wieder mit Mike sprechen würde.
    »War noch was, Charlie?«
    »Nein, Mike. Ich … ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.«
    »Danke, Charlie.« Mikes Stimme klang überrascht, aber gleichzeitig schien er erfreut zu sein. »Das wünsche ich dir auch.«
    Sie schaltete das Fernsehgerät ein und wählte den Kanal, auf dem jeden Morgen über Kabel der Trickfilm kam. Popeye inhalierte Spinat durch seine Pfeife und machte sich bereit, Bluto fürchterlich zu verprügeln.
    Wenn Hockstetter ihr nun sagte, daß sie nicht in den Stall gehen dürfe?
    Auf dem Schirm waren gerade Popeyes gewaltige Muskeln im Querschnitt zu sehen.
    Das soll, er lieber nicht sagen. Denn ich gehe. So oder so. Ich gehe.
2
    Andys Schlaf war nicht so leicht und erholsam gewesen wie der seiner Tochter. Er hatte sich unruhig hin und her geworfen, und wenn er eingeschlafen war, hatte irgendein schrecklicher Alptraum ihn aufschrecken lassen. In dem einzigen, an den er sich erinnern konnte, taumelte Charlie im Stall den Gang zwischen den Boxen entlang. Sie hatte keinen Kopf mehr, aber statt Blut schössen rötlichblaue Flammen aus ihrem Hals.
    Er hatte bis sieben Uhr im Bett bleiben wollen, aber als die Digitaluhr auf seinem Nachttisch sechs Uhr fünfzehn anzeigte, hielt es ihn nicht länger. Er stand auf und ging unter die Dusche.
    Gestern abend kurz nach neun hatte Dr. Nutter, Pynchots früherer Assistent, Andys Reisepapiere gebracht. Nutter, ein großer Mann Ende Fünfzig, dem schon die Haare ausgingen, trat laut und onkelhaft auf. Schade, daß Sie uns verlassen; ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Hawaii; ich wünschte, ich könnte mitfliegen, ha-ha-ha; bitte unterschreiben Sie dies.
    Das Papier, das Nutter ihm zur Unterschrift vorlegte, war ein Verzeichnis seiner persönlichen Habseligkeiten (auch sein Schlüsselbund war aufgeführt, wie Andy voll schmerzhafter Nostalgie

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