Feuerkind
war zu einer Fratze verzerrt; sein linkes Auge war stark blutunterlaufen, und das erinnerte sie an jenen Morgen in Hastings Glen, als sie im Motel aufwachten.
»Daddy, sieh dir dieses Elend an«, stöhnte Charlie und fing an zu weinen.
»Keine Zeit«, sagte er. »Hör zu. Hör zu, Charlie!«
Sie beugte sich über ihn, und ihre Tränen fielen auf seine Wangen.
»Das mußte so kommen, Charlie … du darfst meinetwegen nicht weinen. Aber –«
»Nein! Nein!«
»Charlie, halt den Mund!« sagte er energisch. »Sie werden dich jetzt töten wollen. Hast du verstanden? Jetzt… jetzt wird nicht mehr gespielt. Jetzt geht es nur noch mit harten Bandagen.« Nur schwer verständlich kamen die Worte aus seinem grausam verzerrten Mund. »Du darfst es nicht zulassen, Charlie. Und du darfst nicht zulassen, daß dies alles vertuscht wird. Sie dürfen nicht behaupten, daß es einfach nur ein Feuer war …«
Er hatte den Kopf leicht gehoben und ließ ihn keuchend wieder zurücksinken. Von außen war durch das laute Prasseln des Feuers schwach das Echo von Schüssen zu hören … und wieder das Geschrei von Pferden.
»Daddy, sprich nicht… ruh dich aus …«
»Nein. Keine Zeit.«
Mit Hilfe seines rechten Arms gelang es ihm, sich halb aufzurichten und sie anzusehen. Blut lief ihm aus beiden Mundwinkeln. »Du mußt von hier verschwinden, wenn es nur irgendwie geht, Charlie.« Sie wischte ihm mit dem Ärmel das Blut ab. »Du mußt verschwinden, wenn du es schaffst. Und wenn du die Leute umbringen mußt, die sich dir in den Weg stellen, dann tu es. Dies ist Krieg, und sie sollen es erfahren.«
Die Stimme versagte ihm. »Lauf weg, wenn du kannst, Charlie. Tu es für mich. Hast du verstanden?«
Sie nickte.
Über ihnen, ein wenig weiter hinten, stürzte, wie ein gelbe und orangefarbene Funken sprühendes Feuerrad, ein weiterer Sparren aus dem Dach. Die Hitze traf sie jetzt wie aus einem offenen Hochofen. Wie hungrige, beißende Insekten trafen Funken ihre Haut, um dann zu verlöschen.
»Sorg dafür« – er hustete dickes Blut und konnte kaum noch sprechen. »Sorg dafür, daß sie so etwas nie wieder tun können. Laß es verbrennen, Charlie. Brenn alles nieder.«
»Daddy –«
»Geh jetzt. Bevor alles zusammenstürzt.«
»Ich kann dch hier nicht allein zurücklassen«, sagte sie hilflos und mit zitternder Stimme.
Er lächelte und zog sie noch näher an sich, als ob er ihr etwas ins Ohr flüstern wollte. Aber statt dessen küßte er sie.
»– hab dich lieb, Ch…« sagte er und starb.
20
Durch seinen eigenen Fehler war Jules die Leitung des ganzen Unternehmens zugefallen. Er wartete, nachdem das Feuer ausgebrochen war, so lange er konnte, denn er war überzeugt, daß das Mädchen ihnen ins Schußfeld laufen würde. Als das nicht geschah – und als die Männer vor den Stallungen erkannten, was ihren Kollegen hinter dem Gebäude zugestoßen war –, sah er ein, daß er nicht länger warten konnte, wenn er die Kontrolle über die Männer nicht verlieren wollte. Er begann vorzurücken, und die anderen folgten ihm … aber ihre Gesichter waren straff und angespannt. Sie sahen nicht mehr so aus, als handle es sich nur um eine Fasanenjagd.
Dann bewegten sich Schatten innerhalb der geöffneten Doppeltür. Sie kam heraus. Die Waffen fuhren hoch, und zwei Männer feuerten, bevor überhaupt etwas herauskam. Dann –
Aber es war nicht das Mädchen; es waren die Pferde, ein halbes Dutzend, acht, zehn, die Flanken schweißbedeckt und mit vor Angst verdrehten Augen, in denen man nur noch das Weiße sah.
Jules’ Männer eröffneten das Feuer. Selbst diejenigen, die sich zurückgehalten hatten, weil sie sahen, daß nicht Menschen, sondern Pferde aus dem Stall kamen, waren nicht mehr zu bremsen, als ihre Kollegen angefangen hatten zu schießen. Es war ein Massaker. Zwei der Pferde knickten mit den Vorderbeinen ein, und eins davon wieherte jämmerlich. Blut floß im Licht der blassen Oktobersonne in das Gras.
»Halt!« brüllte Jules. »Halt, verdammt noch mal. Hört auf, die verdammten Pferde zu erschießen!«
Genausogut hätte er König Knut sein können, der den Wogen gebieten wollte. Die Männer – die Angst vor etwas hatten, was sie nicht sehen konnten, und von dem Dröhnen des Summers für Alarmstufe Hellgelb wie hypnotisiert waren, die schließlich auch noch hörten, wie das Faß mit dem Traktorentreibstoff brüllend detonierte – hatten endlich lebende Ziele, auf die sie schießen konnten … und sie schössen. Zwei Pferde
Weitere Kostenlose Bücher