Feuerkind
Blocks fiel ein Scheit herab. Er bückte sich gerade, um sie aufzuheben und zu den anderen zu werfen, als eine Stimme hinter ihm sagte: »Sie haben einen neuen Block, aber die Stelle ist noch zu sehen, nicht wahr? Sie ist noch da.«
Erschrocken fuhr er herum. Was er sah, ließ ihn unwillkürlich einen Schritt zurücktreten, wobei er die Axt vom Block stieß, daß sie auf die immer noch deutlich erkennbare Brandstelle fiel. Zuerst glaubte er einen Geist vor sich zu sehen, das grausige Gespenst eines Kindes, das aus dem drei Meilen weiter an der Straße gelegenen Friedhof von Dartmouth Crossing aufgestiegen war. Blaß und schmutzig und dünn stand sie an der Auffahrt. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen und hatten einen eigenartigen Glanz. Ihr Kleidung war zerlumpt und zerrissen. An ihrem rechten Arm lief eine Kratzwunde bis zum Ellenbogen. Sie sah entzündet aus. An den Füßen trug sie Mokassins oder was einmal Mokassins gewesen waren; jetzt waren sie kaum noch als solche zu erkennen.
Und dann erkannte er sie plötzlich. Es war das kleine Mädchen von vor einem Jahr; sie hatte sich Roberta genannt und hatte einen Flammenwerfer im Kopf.
»Roberta?« sagte er. «Du lieber Gott, ist das Roberta?«
»Ja, die Stelle ist immer noch da«, wiederholte sie, als ob sie seine Worte nicht gehört hätte, und er wußte, was der Glanz in ihren Augen zu bedeuten hatte: sie weinte.
»Roberta«, sagte er, »was ist denn los, Kleines? Wo ist dein Daddy?«
»Sie ist noch da«, sagte sie ein drittes Mal, und dann brach sie ohnmächtig zusammen. Irv Manders konnte sie gerade noch auffangen. Im Schmutz des Hofes kniend und das Mädchen im Arm haltend, schrie Irv Manders nach seiner Frau.
4
Dr. Hofferitz kam bei Anbruch der Dämmerung und hielt sich zwanzig Minuten bei dem Mädchen im hinteren Schlafzimmer auf. Irv und Norma Manders saßen in der Küche, und statt sich ihrem Abendessen zu widmen, starrten sie einander an. Norma sah ihren Mann nicht vorwurfsvoll, sondern fragend an, und nicht so sehr in ihren Augen wie um sie herum war Angst zu erkennen – die Augen einer Frau, die sich ihre Kopfschmerzen oder vielleicht Rückenschmerzen nicht anmerken lassen will.
Am Tag nach dem großen Feuer war dieser Tarkington gekommen. Er hatte Irv im Krankenhaus besucht und ihm seine Karte gegeben, auf der lediglich stand: WHITNEY TARKINGTON REGIERUNGSBEAUFTRAGTER FÜR AUSGLEICHSZAHLUNGEN
»Machen Sie, daß Sie rauskommen«, hatte Norma gesagt. Sie hatte die blutleeren Lippen zusammengepreßt, und um ihre Augen hatte der gleiche Ausdruck des Schmerzes gelegen wie jetzt. Sie hatte auf den Arm ihres Mannes gezeigt, der in dicke Bandagen gewickelt war; man hatte Schläuche eingeführt, die erhebliche Schmerzen verursachten. Irv hatte ihr gesagt, daß er den ganzen Zweiten Weltkrieg, von entsetzlichen Hämorrhoiden abgesehen, heil überstanden hätte, um dann ausgerechnet zu Hause auf seinem eigenen Besitz zusammengeschossen zu werden. »Machen Sie, daß Sie rauskommen«, wiederholte Norma.
Aber Irv, der vielleicht ein wenig mehr Zeit zum Nachdenken gehabt hatte, meinte nur: »Sagen Sie schon, was zu sagen ist, Tarkington.«
Tarkington hatte einen Scheck über fünfunddreißigtausend Dollar aus der Tasche gezogen – der Scheck war nicht von der Regierung, sondern von einer großen Versicherungsgesellschaft ausgestellt worden, allerdings von einer, mit der Manders keine geschäftlichen Beziehungen unterhielt.
»Wir wollen Ihr Schweigegeld nicht«, hatte Norma wütend gesagt und nach dem Rufknopf über Irvs Bett gegriffen.
»Ich denke, Sie sollten zuhören, bevor Sie etwas unternehmen, was Sie vielleicht später bedauern«, hatte Whitney Tarkington ruhig und höflich erwidert.
Norma schaute Irv an, und Irv hatte genickt. Sie ließ die Hand wieder sinken, die sie nach dem Rufknopf ausgestreckt hatte. Widerwillig.
Tarkington hatte eine Aktentasche bei sich. Jetzt nahm er sie auf die Knie, öffnete sie und nahm eine mit MANDERS und BREEDLOVE beschriftete Akte heraus. Norma bekam ganz große Augen, und der Magen krampfte sich ihr zusammen. Niemand sieht gern eine Regierungsakte mit seinem eigenen Namen darauf; der Gedanke, daß Listen geführt wurden, daß vielleicht Geheimnisse bekannt waren, hatte etwas Schreckliches an sich.
Tarkington hatte vielleicht fünfundvierzig Minuten lang leise und sachlich mit ihnen geredet. Manchmal illustrierte er, was er sagen wollte, mit Foto-Kopien aus der Manders/Breedlove-Akte. Norma überflog die Bögen
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