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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nicht zu nahe«, zischte sie rauh. »All ihre Tests! All ihre Tests! Ich brauche keine Tests! Du bist eine Hexe! Eine Hexe!«
    Charlie blieb stehen. »Ihr Arm«, sagte sie. »Bitte. Ihr Arm. Es tut mir so leid.« Und wieder zuckten ihre Lippen. Die Panik, in der sich die Frau befand, die Art, wie sie mit den Augen rollte, wie sie unbewußt die Lippen hochzog, so daß ihre Zähne zu sehen waren – das war für Charlie schlimmer als alles andere.
    »Bitte!« rief sie. »Es tut mir leid! Sie haben meinen Daddy umgebracht!«
    »Sie hätten dich auch umbringen sollen«, sagte die Frau keuchend. »Warum verbrennst du dich nicht selbst, wenn dir alles so leid tut?«
    Charlie ging einen Schritt auf sie zu, und die Frau wich weiter vor ihr zurück. Sie schrie, als sie auf ihren verletzten Arm fiel.
    »Komm mir nicht zu nahe!«
    Und plötzlich fand Charlie die Worte für ihren Schmerz, ihren Kummer und ihre Wut.
    »Es war alles nicht meine Schuld!« schrie sie die Frau mit dem gebrochenen Arm an. »Es war nicht meine Schuld; sie haben es sich selbst zuzuschreiben, und ich lasse mir keine Vorwürfe machen, und ich werde mich auch nicht umbringen! Haben Sie das gehört?«
    Ängstlich duckte sich die Frau und murmelte etwas vor sich hin.
    Das Heulen der Sirenen kam näher.
    Charlie spürte, daß bei ihrer Erregung die Kräfte wieder in ihr aufstiegen und zum Ausbruch drängten.
    Aber sie bezwang sie, ließ sie verschwinden.
    (Und auch das werde ich nicht wieder tun)
    Sie überquerte die Straße und ließ die jammernde Frau hinter sich zurück. Jenseits der Straße lag eine Wiese mit hüfthohem Gras, das der beginnende Herbst schon gebleicht hatte, das aber noch sommerlich duftete.
    (Wohin gehe ich?)
    Sie wußte es noch nicht.
    Aber sie würde sich nie wieder einfangen lassen.

Charlie allein
1
    Unvollständig wurden die Ereignisse an jenem Mittwoch abend in den Abendnachrichten des Fernsehens berichtet. Die ganze Geschichte erfuhren die Amerikaner erst, als sie am nächsten Morgen aufstanden. Bis dahin hatte man alle verfügbaren Informationen zu dem zusammengefügt, was die Amerikaner offenbar wirklich meinen, wenn sie sagen, daß sie »die Nachrichten« hören wollen – und was sie wirklich meinen, ist »Erzählt mir eine Geschichte« und sorgt dafür, daß sie einen Anfang, eine Mitte und irgendein Ende hat.
    Die Geschichte, die Amerika zum Morgenkaffee über Today, Good Morning, America, und The CBS Morning News aufgetischt bekamen, war diese: Terroristen hatten auf ein unter Top Secret operierendes wissenschaftliches Institut in Longmont, Virginia, einen Bombenanschlag verübt. Es sei noch nicht bekannt, um welche Terroristengruppe es sich handelte, obwohl sich schon drei gemeldet und die Verantwortung übernommen hätten -eine Gruppe Japanischer Roter, die Khafadi-Splittergruppe des Schwarzen September und eine einheimische Gruppe mit dem blumigen und wunderschönen Namen Militant Midwest Weatherpeople.
    Obwohl niemand genau wußte, wer für den Anschlag verantwortlich war, schienen die Berichte über seine Durchführung eindeutig zu sein. Ein Agent namens John Rainbird, Indianer und Vietnamveteran, sei Doppelagent gewesen und habe im Auftrag der terroristischen Organisation die Bomben gelegt. Er sei dabei entweder tödlich verunglückt oder habe im Stallgebäude, in dem er ebenfalls eine Bombe deponiert hatte, Selbstmord begangen. Eine Quelle wollte wissen, daß Rainbird der Hitze und dem Rauch zum Opfer gefallen sei, als er versuchte, die Pferde aus dem brennenden Stall zu treiben; dazu gab es den üblichen irononischen Kommentar über eiskalte Terroristen, denen Tiere mehr bedeuten als Menschen. Die Tragödie hatte zwanzig Menschenleben gefordert, und fünfundvierzig Leute waren verletzt worden, zehn davon schwer. Die Überlebenden seien von der Regierung vorläufig unter »Schutz« gestellt worden.
    Soweit die Geschichte. Die Firma selbst wurde nur am Rande erwähnt. Alles war befriedigend geklärt.
    Bis auf eines.
2
    »Mir ist es egal, wo sie ist«, sagte die neue Chefin der Firma vier Wochen nach der Brandkatastrophe und Charlies Flucht. Während der ersten zehn Tage hatte völlige Verwirrung geherrscht. Dabei hätte man das Mädchen möglicherweise leicht wieder ins Netz bekommen. Auch jetzt war man noch nicht zur Normalität zurückgekehrt. Die neue Chefin saß an einem behelfsmäßigen Schreibtisch; ihr eigener sollte erst in drei Tagen geliefert werden. »Und mir ist es auch egal, was sie anrichten kann. Sie ist

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