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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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raunte noch der Wind in den Bäumen. Hier gab es noch moosbedeckte Schindeln aus Holz, und die Tannennadeln wurden in jeden Dachwinkel und in die Auffangschale der Holztraufe geweht.
    Hier war er Knabe gewesen, und Großvater hatte ihm gezeigt, wie man den Köder am Haken anbringt. Hier hatte er sein eigenes, ahorngetäfeltes Schlafzimmer gehabt und in dem schmalen Bett seine Knabenträume geträumt. Aber hier war er auch Mann gewesen und hatte in Großvaters und Großmutters Ehebett seine eigene Frau geliebt – Großmutter, diese schweigsame und irgendwie unangenehme Frau, die Mitglied der Amerikanischen Atheistengesellschaft war und einem auf Befragen die dreißig größten Unvereinbarkeiten in der Bibel zu erklären pflegte, oder, wenn man es vorzog, den lächerlichen Trugschluß der Uhrfedertheorie in bezug auf das Universum, und das alles mit der schlagenden, unumstößlichen Logik des fanatischen Missionars.
    »Dir fehlt Mami, nicht wahr?« sagte Charlie ganz verloren.
    »Ja«, sagte er. »Ich vermisse sie sehr.«
    »Ich auch«, sagte Charlie. »Ihr habt es schön hier gehabt, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte er. »Jetzt komm, Charlie.«
    Sie zögerte und sah ihn an.
    »Daddy, wird es für uns je wieder besser werden? Werde ich wieder zur Schule gehen können und so was?«
    Er suchte nach einer Lüge, aber eine Lüge wäre eine erbärmliche Antwort. »Ich weiß es nicht«, sagte er. Er versuchte zu lächeln, aber es gelang nicht; er konnte die Lippen nicht überzeugend bewegen. »Ich weiß es nicht, Charlie.«
2
    Großvaters Werkzeuge lagen immer noch geordnet auf den Regalen im Werkzeugschuppen des Bootshauses, und Andy fand ein Geschenk, das er erhofft, aber kaum ernsthaft erwartet hatte: fast acht Kubikmeter Holz, sauber gespalten und abgelagert, aufgestapelt in dem Verschlag unterhalb des Bootshauses. Das meiste hatte er noch selbst gehackt, und es lag immer noch unter der schmutzigen alten Plane, die er selbst darübergeworfen hatte. Acht Kubikmeter würden nicht für den ganzen Winter reichen, aber wenn er erst die herabgefallenen Äste und die Birke drüben auf dem Weg zersägt hatte, würden sie gut versorgt sein.
    Er nahm die Steifsäge und ging zu dem gestürzten Baum zurück. Er sägte so viel ab, daß er mit dem Willys durchkam.
    Inzwischen war es fast dunkel geworden, und er war müde und hungrig. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die gut sortierte Vorratskammer zu plündern. Wenn während der letzten sechs Winter Einbrecher oder Diebe auf Schneemobilen gekommen waren, hatten sie sich auf das dichter besiedelte Südufer des Sees beschränkt. Auf den fünf Regalen türmten sich Suppen von Campell, Sardinen von Wyman und Rindfleisch von Dinty Moore. Außerdem standen dort alle möglichen Arten von Dosengemüse. Zuletzt fand er noch einen halben Karton Hundefutter in Dosen – für Großvaters guten alten Hund Bimbo bestimmt – aber Andy glaubte nicht, daß es soweit kommen würde.
    Während Charlie sich die Bücher auf den Regalen im großen Wohnzimmer ansah, stieg Andy in den kleinen Keller hinab, der von der Küche aus zu erreichen war. Er riß an einem der Balken ein Streichholz an und steckte den Finger in das Astloch eines der Bretter, mit denen der verdreckte kleine Raum ausgeschlagen war, und zog. Das Brett löste sich, und Andy schaute hinein. Dann grinste er. In dem spinnwebverhangenen kleinen Versteck standen vier mit einer klaren, ein wenig öligen Flüssigkeit gefüllte Krüge, die aus hundertprozentig reinem weißen ›Blitz‹ bestand – Großvater nannte das Getränk »Vaters Eselstritt«.
    Andy verbrannte sich an dem Streichholz die Finger. Er blies es aus und zündete ein zweites an. Wie die strengen alten Prediger in Neu-England (sie stammte selbst direkt von einem ab) mißbilligte Hulda McGee die einfachen und oft ein wenig dümmlichen Vergnügen der Männer, die sie weder verstand noch tolerierte. Sie war eine puritanische Atheistin gewesen, und Großvater hatte dies kleine Geheimnis vor ihr gehabt. Im Jahr vor seinem Tod hatte er es mit Andy geteilt. Neben dem weißen Blitz stand dort ein Kästchen für Poker-Chips. Er nahm es heraus und griff hinein. Er hörte ein knisterndes Geräusch und zog ein dünnes Bündel Banknoten hervor – ein paar Zehner und Fünfer und einige Eindollarnoten. Insgesamt achtzig Dollar. Kartenspielen war Großvaters Schwäche gewesen, und dieses Geld nannte er seine »letzte Reserve«.
    Andy verbrannte sich auch am zweiten Streichholz die Finger und

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