Feuerkind
trat es aus. Im Dunklen legte er die Chips und das Geld wieder in den Kasten und stellte ihn zurück. Es war gut zu wissen, daß es da war. Er schob das Brett wieder vor und ging durch die Küche ins Wohnzimmer.
»Möchtest du Tomatensuppe?« fragte er Charlie. Wunder über Wunder, sie hatte auf einem der Regale Märchenbücher gefunden und befand sich gerade mit ihren Märchenfiguren mitten im Märchenwald.
»Ja, gern«, sagte sie, ohne aufzuschauen.
Er machte einen großen Topf Tomatensuppe und öffnete für jeden eine Dose Sardinen. Nachdem er sorgfältig die Vorhänge zugezogen hatte, zündete er eine der Kerosinlampen an und stellte sie mitten auf den Eßtisch. Sie setzten sich und aßen, ohne viel zu sprechen. Anschließend rauchte er eine Zigarette, die er an der Lampe anzündete. Charlie entdeckte das Kartenfach in Großmutters Frisierkommode; es lagen acht oder neun Kartenspiele darin, und aus jedem fehlte die eine oder andere Karte. Charlie verbrachte den Rest des Abends damit, die Karten zu ordnen und mit ihnen zu spielen, während Andy das Haus durchstreifte.
Als er sie später ins Bett brachte und zudeckte, fragte er sie, wie sie sich fühle.
»Sicher«, antwortete sie, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. »Gute Nacht, Daddy.«
Wenn es gut genug für Charlie war, war es gut genug für ihn. Er blieb noch eine Weile bei ihr sitzen, aber sie schlief schnell und mühelos ein. Er ließ die Tür halb offen, damit er merkte, falls sie während der Nacht unruhig werden sollte.
3
Bevor er ins Bett ging, suchte Andy noch rasch den Keller auf, nahm einen der Krüge mit »weißem Blitz« heraus und goß sich einen Schluck in ein Saftglas. Dann ging er durch die Schiebetür auf die Veranda hinaus und setzte sich in einen der Segeltuchstühle (sie rochen muffig, und er überlegte kurz, ob man dem abhelfen könne) und schaute auf die dunkle, sich sanft bewegende Fläche des Sees hinaus. Es war ein wenig kühl, aber ein paar kleine Schlucke von Großvaters »Eselstritt« erledigten das. Zum ersten Mal seit jener schrecklichen Jagd die Third Avenue hinauf fühlte auch er sich sicher und beruhigt.
Er rauchte und schaute auf den Tashmore-See.
Sicherheit und Ruhe, aber nicht zum ersten Mal seit New York City. Zum ersten Mal, seit an jenem fürchterlichen Augusttag vor vierzehn Monaten die Firma wieder in ihr Leben eingegriffen hatte. Seitdem waren sie entweder auf der Flucht gewesen oder hatten in irgendeinem Versteck gehockt, und weder das eine noch das andere hatte ihnen auch nur einen Augenblick der Ruhe gelassen.
Er erinnerte sich an sein Telefongespräch mit Quincey, als er noch den Geruch des verbrannten Teppichs in der Nase hatte. Er in Ohio, Quincey unten in Kalifornien, das er in seinen spärlichen Briefen immer das Zauberland der Erdbeben nannte.
Ja, das ist eine gute Sache, hatte Quincey gesagt. Sonst hätte man sie in zwei kleine Räume gesperrt, wo sie die ganze Zeit arbeiten mußten, damit zweihundertzwanzig Millionen Amerikaner in Freiheit und Sicherheit leben können … wahrscheinlich wollen sie das Mädchen holen und in einen kleinen Raum sperren, um festzustellen, ob sie dazu beitragen kann, die Welt für die Demokratie zu retten. Und ich denke, mehr werde ich nicht sagen, alter junge, außer … laß dich nicht erwischen.
Damals hatte er gelernt, was Angst ist. Was Angst ist, hatte er vorher nicht gewußt. Es bedeutete Angst, nach Hause zu kommen und seine Frau mit herausgerissenen Fingernägeln tot aufzufinden. Sie hatten ihr die Fingernägel herausgerissen, um zu erfahren, wo Charlie sich aufhielt. Charlie hatte zwei Tage und zwei Nächte im Haus ihrer Freundin Terri Dugan verbracht. Einen Monat später hätten sie Terri auch für zwei Tage zu sich einladen wollen. Vicky hatte das den großen Tausch von 1980 genannt.
Als er jetzt auf der Veranda saß und rauchte, konnte Andy rekonstruieren, was geschehen war, obwohl er damals in einem Wust von Kummer, panischem Schrecken und Wut gelebt hatte: es war unwahrscheinliches Glück gewesen (oder vielleicht ein wenig mehr als Glück), das ihn in die Lage versetzt hatte, sie überhaupt wieder einzuholen.
Sie hatten unter Bewachung gestanden. Die ganze Familie. Das mußte schon einige Zeit so gewesen sein. Und als Charlie an jenem Mittwochnachmittag von einem Sommerausflug nicht nach Hause gekommen war und auch am Donnerstagabend nicht auftauchte, mußten die Überwacher angenommen haben, daß Andy und Vicky die Überwachung aufgefallen war.
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