Feuerklingen (First Law - Band 2)
nur, dass es jetzt erst kommt.
Er winkte Frost zu sich heran, als Ardee mit seinem schwarzen Mantel verschwunden war. »Ich habe einen Auftrag für Sie, mein alter Freund. Einen letzten Auftrag.« Glokta klopfte dem Albino auf die massige Schulter und drückte sie. »Kennen Sie einen Geldverleiher namens Fallow?«
Frost nickte langsam.
»Finden Sie ihn und nehmen Sie ihn in die Mangel. Dann bringen Sie ihn hierher und machen ihm begreiflich, wen er beleidigt hat. Alles muss wieder an seinen Platz und sollte dann noch besser sein, als es gewesen ist, das richten Sie ihm bitte aus. Geben Sie ihm einen Tag. Einen Tag, und dann spüren Sie ihn auf, wo immer er auch sein mag, und setzen das Messer an. Haben Sie verstanden? Tun Sie mir diesen einen Gefallen.«
Frost nickte wieder, und seine rosafarbenen Augen leuchteten in dem düsteren Flur.
»Sult erwartet uns«, raunte Vitari, die von oberhalb der Treppe zu ihnen hinuntersah, die behandschuhten Hände schlaff über das Geländer gelegt.
»Natürlich.« Glokta verzog das Gesicht, als er zur offenen Tür humpelte.
Und wir wollen doch Seine Eminenz nicht warten lassen.
Klack, Klick, Schmerz, das war der Rhythmus von Gloktas Schritt. Erst das selbstbewusste Klack seines rechten Absatzes, dann das Klick seines Stocks auf den nachhallenden Fliesen des langen Flurs, dann das lang gezogene Schleifen seines linken Fußes, begleitet von den vertrauten, stechenden Schmerzen im Knöchel, Knie, Hintern und Rücken. Klack, Klick, Schmerz.
Er war von den Kais bis zu Ardees Haus gegangen, dann zum Agriont, zum Haus der Befragungen und den ganzen Weg hier hinauf. Gehumpelt. Ganz allein. Ohne Hilfe. Jetzt war jeder Schritt eine Qual. Bei jeder Bewegung verzog er das Gesicht. Er schnaufte und schwitzte und fluchte.
Aber ich will verdammt sein, wenn ich auch nur ein bisschen langsamer werde.
»Sie machen es sich nicht gern leicht, nicht wahr?«, fragte Vitari.
»Wieso sollte es auch leicht sein?«, gab er scharf zurück. »Sie können sich mit dem Gedanken trösten, dass dieses Gespräch vermutlich unser letztes sein wird.«
»Weswegen gehen Sie überhaupt hin? Wieso laufen Sie nicht weg?«
Glokta schnaufte. »Falls Ihnen das noch nicht aufgefallen sein sollte, bin ich ein ausgesprochen schlechter Läufer. Das ist das eine, zum anderen bin ich neugierig.«
Neugierig darauf, wieso mich Seine Eminenz nicht mit all den anderen hat in Dagoska draufgehen lassen.
»Ihre Neugier wird Sie noch einmal umbringen.«
»Wenn mich der Erzlektor töten lassen will, hat es wenig Sinn, davor wegzuhumpeln. Ich stelle mich lieber.« Er zuckte zusammen, als ein plötzlicher Krampf sein Bein packte. »Oder setze mich vielleicht auch hin. Aber auf alle Fälle will ich dem, was kommt, ins Gesicht sehen, mit offenen Augen.«
»Es ist Ihr gutes Recht, sich dafür zu entscheiden, nehme ich an.«
»Ganz genau.«
Die letzte Entscheidung, die ich treffen werde.
Sie betraten Sults Vorzimmer. Glokta war ein wenig überrascht, dass er überhaupt so weit gekommen war. Bei jedem schwarz maskierten Praktikal in dem Gebäude, an dem sie vorübergegangen waren, hatte er erwartet, ergriffen zu werden. Bei jedem schwarz gekleideten Inquisitor hatte er damit gerechnet, dass jener auf ihn zeigen und seine sofortige Verhaftung fordern würde.
Und dennoch bin ich wieder hier.
Der schwere Schreibtisch, die schweren Stühle, die zwei riesigen Praktikalen neben der schweren Flügeltür, alles war noch genauso wie beim letzten Mal.
»Ich bin …«
»Superior Glokta, aber natürlich.« Der Sekretär des Erzlektors neigte respektvoll den Kopf. »Sie können sofort eintreten. Seine Eminenz erwartet Sie.« Aus dem Dienstzimmer des Erzlektors drang Licht in den kleinen Vorraum.
»Ich warte hier.« Vitari ließ sich auf einen Stuhl fallen und schob ihre feuchten Stiefel auf die Sitzfläche des Möbels daneben.
»Machen Sie sich nicht die Mühe, zu lange zu warten.«
Vielleicht meine letzten Worte?
Glokta fluchte innerlich, als er auf die Tür zuschlurfte.
Ich hätte mir wirklich etwas Einprägsameres einfallen lassen sollen.
Auf der Schwelle hielt er kurz inne, holte tief Luft und trat dann humpelnd ein.
Derselbe helle, runde Raum. Dieselben dunklen Möbel, dieselben dunklen Bilder an den hellen Wänden, dasselbe große Fenster mit demselben Blick über die Universität und das Haus des Schöpfers dahinter.
Keine gedungenen Mörder, die unter dem Tisch lauern, keine axtschwingenden Henker hinter der Tür.
Nur Sult
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