Feuerklingen (First Law - Band 2)
fettigen Haar. Dann stieß sie ein schnaubendes Lachen aus. »Bedauerlicherweise bin ich nicht auf Besucher vorbereitet.«
Glokta hörte Frost den Flur hinunterpoltern, bevor der Praktikal mit geballten Fäusten zur Tür hereinstürmte, und er hob einen Finger. »Es ist alles in Ordnung. Warten Sie draußen.« Der Albino wich in die Schatten zurück, und Glokta humpelte über die ächzenden Dielenbretter in den leeren Salon. »Was ist geschehen?«
Ardees Mundwinkel zuckten. »Es hat den Anschein, als sei mein Vater doch kein so wohlhabender Mann gewesen, wie alle dachten. Er hatte Schulden. Mein Bruder war kaum nach Angland abgereist, als sie kamen, um sie einzutreiben.«
»Wer?«
»Ein Mann namens Fallow. Er nahm alles Geld, das ich hatte, aber es reichte nicht. Sie nahmen das Silber und den Schmuck meiner Mutter, soweit er von Wert war. Dann gaben sie mir sechs Wochen Zeit, um den Rest aufzutreiben. Ich entließ das Dienstmädchen. Ich verkaufte alles Mögliche, aber es reichte ihnen nicht. Dann kamen sie wieder. Vor drei Tagen. Sie nahmen alles mit. Fallow sagte, ich könne froh sein, dass er mir das Kleid lasse, das ich trug.«
»Ich verstehe.«
Sie holte tief und aufschluchzend Luft. »Seitdem habe ich hier gesessen und darüber nachgedacht, wie eine junge Frau ohne Freunde an ein wenig Geld kommen kann.« Sie sah ihm ins Gesicht. »Eine Möglichkeit ist mir eingefallen. Hätte ich den Mut gehabt, ich hätte es schon versucht.«
Glokta saugte an seinem Zahnfleisch. »Wie gut für uns beide, dass Sie ein kleiner Feigling sind.« Er schob eine Schulter aus seinem Mantel und musste sich dann winden und schütteln, um auch den Arm herauszubekommen. Nachdem er das geschafft hatte, nahm er ungeschickt den Stock in die andere Hand, um ganz herauszuschlüpfen.
Verdammt noch mal. Nicht einmal eine großzügige Geste gelingt mir noch einigermaßen elegant.
Schließlich hielt er ihr den Mantel hin und schwankte ein wenig auf seinem schwachen Bein.
»Sind Sie sicher, dass Sie ihn nicht mehr brauchen als ich?«
»Nehmen Sie schon. Zumindest muss ich das verdammte Ding dann nicht wieder überziehen.«
Das entlockte ihr ein halbes Lächeln. »Danke«, murmelte sie, als sie den Stoff um ihre Schultern wickelte. »Ich habe versucht, Sie ausfindig zu machen, aber ich wusste nicht … wo Sie waren …«
»Das tut mir leid, aber jetzt bin ich ja da. Sie müssen sich keine Gedanken mehr machen. Sie werden heute Nacht bei mir bleiben. Mein Quartier ist zwar nicht besonders groß, aber uns wird schon etwas einfallen.«
Es wird dort außerdem jede Menge Platz sein, wenn ich mit dem Gesicht nach unten im Hafenbecken treibe.
»Und was passiert danach?«
»Danach gehen Sie hierher zurück. Morgen wird dieses Haus wieder genauso eingerichtet sein, wie es war.«
Sie sah ihn ungläubig an. »Wie denn das?«
»Oh, ich kümmere mich darum. Erst einmal müssen wir dafür sorgen, dass Sie ins Warme kommen.«
Superior Glokta, Freund der Freundlosen.
Sie schloss die Augen, als er sprach, und er hörte, wie sie schnell und hart durch die Nase atmete. Sie schwankte ein wenig, als ob sie kaum noch die Kraft hätte, sich auf den Beinen zu halten.
Seltsam, dass wir stets in der Lage sind, die Härte des Lebens zu ertragen, solange wir müssen. Aber sobald die Krise vorbei ist, sickert sofort all unsere Kraft aus uns heraus.
Glokta streckte die Hand aus und berührte beinahe ihre Schulter, um sie zu stützen, aber im letzten Augenblick öffneten sich ihre Augen, sie richtete sich wieder auf, und er zog die Hand zurück.
Superior Glokta, der Retter junger Damen in Not.
Er führte sie über den Flur zur aufgebrochenen Haustür. »Wenn Sie mich kurz mit meinen Praktikalen allein lassen würden.«
»Selbstverständlich.« Ardee sah zu ihm auf, die großen, dunklen Augen mit sorgenvollem Rosa umrandet. »Und ich danke Ihnen. Was immer man über Sie sagen mag, Sie sind ein guter Mensch.«
Glokta unterdrückte das plötzliche Bedürfnis, laut loszulachen.
Ein guter Mensch? Ich fürchte, Salem Rews wäre anderer Meinung. Wie auch Gofred Hornlach oder Magister Kault oder Karsten dan Vurms, General Vissbruck, der Gesandte Islik, Inquisitor Harker oder die vielen hundert anderen, die in den Gefangenenlagern Anglands ihr Leben fristen oder in Dagoska auf den Tod warten. Und dennoch hält mich Ardee West für einen guten Menschen.
Es war ein seltsames Gefühl, aber kein unangenehmes.
Beinahe fühlt man sich wieder wie ein echter Mensch. Schade
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