Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
liegt neben Anna im heißen Sand.
Während sie ein Buch hervorkramt, wie immer ein dicker Schinken von mindestens
fünfhundert Seiten, gibt er sich genussvoll dem Nichtstun hin, lässt seinen
Blick über das Meer schweifen, lauscht dem Klang der Wellen und kann dann doch
nicht umhin, heimlich aufs Buchcover zu schielen: › Die Musik der Wale ‹
von Wally Lamb. Es bleibt der einzige Rückfall aus seiner Trägheit, bis weißer
Rauch quer über den Strand treibt. Der Kapitän und sein Sohn haben einen
Holzkohlegrill angeworfen. Der Duft von Kebab und Fisch breitet sich aus. Das
sieht zwar alles verlockend aus, aber Swensen bleibt seiner vegetarischen Seele
treu. Er nimmt eine große Portion Salat, dazu geröstetes Fladenbrot, Schafskäse
und schwarze Oliven. Anna kaut genüsslich an einem Stück Dorade. Vor der Bucht
taucht eine riesige, schwarze Motorjacht auf und geht vor Anker. Das
Ausflugsboot wirkt dagegen wie eine Nussschale. An Bord ist niemand zu sehen. Vielleicht
haben sie die Pest an Bord, denkt Swensen, oder sie sind alle an Reichtum
gestorben. Bis zu ihrer Abfahrt rührt sich auf dem schwimmenden Monstrum kein
Mensch.
*
Als die Anlegestelle in Dalyan in Sicht kommt, fällt das Licht der Sonne
bereits schräg. Es ist kurz vor 17.00 Uhr. Swensen schüttelt den Sand von den
Strandsachen ins Wasser und packt sie in den Rucksack. Da klingelt das Handy
einer älteren Türkin. Die mondän wirkende Dame trägt einen modischen Strohhut,
ein elegantes rotes Sommerkleid und schwere Goldketten um den Hals. Er sieht
ihr zufällig direkt ins Gesicht, als sie das Gespräch annimmt. Ihre braunen
Augen weiten sich einen unscheinbaren Moment. Die fragende Stimme wirkt
stakkatoartig, das Gesicht versteinert sich zunehmend und zuletzt steht sie
stocksteif an der Reling. Der Song von Izel hämmert über der Szene. Einige
Landsleute reden auf die Dame ein und beginnen wild zu gestikulieren. Ein
Wortschwall nach dem anderen wogt durch die türkische Touristengruppe. Ein
Engländer versucht Auskunft zu bekommen. Man hört immer wieder das Wort » Amerika« .
»Da
scheint irgendwas los zu sein!«, ereifert sich der Düsseldorfer.
Swensen
geht auf den sommersprossigen Engländer zu und fragt: »What’s the matter?«
Der
zuckt nur mit der Schulter: »I don’t really know! The woman said, America was just attacted!«
»Was
meint der Typ?«, fragt der Düsseldorfer.
»Jemand
greift Amerika an!«
»Unsinn!«,
fährt Anna dazwischen. »Das ist doch Unsinn! Wer sollte denn Amerika
angreifen?«
Ihre
Frage wirkt auf Swensen plötzlich merkwürdig beunruhigend. Unterschwellig nimmt
er eine dubiose Bedrohung wahr. Irgendetwas scheint dort in Amerika vorzugehen,
denkt er, aber was?
»Wahrscheinlich
haben die Amis wieder jemanden angegriffen!«, sagt er mit einem gezwungenen
Lächeln zu Anna. »Aber wer sollte das sein? Es gab vor unserem Urlaub keinerlei
Anzeichen!«
So
schlagartig wie die Unruhe sich an Bord ausgebreitet hatte, verebbt sie auch
wieder. Selbst die Düsseldorfer verstummen. Die Menschen sitzen zusammen und
reden ruhig miteinander, als wenn nichts gewesen wäre. Mit einem klammen Gefühl
im Magen beobachtet Swensen Kapitän Özalp dabei, wie er seinen Kahn mit kleinen
Manövern exakt zwischen zwei andere steuert und mit dem Bug am Holzsteg
andockt. Sofort springt sein Sohn mit einem Satz von Bord, verankert das
Schiffstau an einem Poller. Der Kapitän schiebt den Holzbalken zum Steg
hinüber.
Ohne
großes Palaver strömt die Gruppe auseinander. Das Ehepaar Heinzmann hebt
synchron den rechten Arm und latscht mit einem breiten »Tschauuu!« zur
Promenade hinüber, am Denkmal der fliegenden Bronzeschildkröte vorbei, weiter
in Richtung Moschee. Swensen schultert den Rucksack und marschiert mit Anna in
entgegengesetzter Richtung, die Einkaufspromenade hinauf. Gleich hinter der Nectar-Bar kommen sie an einem kleinen Teehaus vorbei. Drinnen steht eine Traube Männer
und einige Frauen, den Rücken zum Eingang. Es fällt kein Wort, von außen ist
nur das bläuliche Flimmern eines Fernsehers zu erkennen. Im Hintergrund hört
man die überdrehte Stimme eines TV-Moderators.
Klingt
selbst auf Türkisch so überkandidelt wie in Deutschland, denkt Swensen. Er
stellt sich auf die Zehenspitzen. Nichts. Das Blut pocht in seiner Schläfe. Er
dreht sich um, Annas graublaue Augen blicken durch ihn hindurch. Wortlos gehen
sie weiter. In der Internet-Bar neben dem Cool-Chilli-Restaurant wiederholt sich die gleiche Szene
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