Feuernacht
griff nun auf das Elternschlafzimmer über, ebenso wie die beschlagenen Fensterscheiben und die Stromschwankungen. Obendrein bildeten sich an der Türschwelle kleine Pfützen, die im Dunkeln aussahen wie Blut, sich aber bei Licht als Wasser entpuppten. Sie holten zwei Dachdecker, die aufs Dach kletterten, aber keine undichten Stellen fanden.
Im Nachhinein betrachtet war es unglaublich, wie lange sie das alles ertragen hatten, ohne sich anderweitige Hilfe zu holen. Eines Morgens verkündete Berglind, sie halte es nicht mehr aus, das Haus würde sofort verkauft, unabhängig von der Wirtschaftskrise und der Stagnation auf dem Immobilienmarkt. Als sie aufgewacht waren, hatte ihre Kleidung am Schrank im Schlafzimmer gehangen – und zwar nicht irgendwelche Kleidung, sondern Hallis Anzug mit Hemd und Krawatte und ein dazu passendes Kleid von Berglind. Genau dieselben Sachen, die sie an dem Abend getragen hatten, als sie zu der Weihnachtsfeier wollten. Als sie ins Bett gingen, hatte definitiv noch nichts am Schrank gehangen. Halli war zum ersten Mal genauso entsetzt wie Berglind, was ihr noch mehr Angst einjagte. Er gab zu bedenken, dass sich ihre Lage durch den Verkauf des Hauses nicht unbedingt zum Besseren wenden würde, und anstatt der Verlockung nachzugeben, beschlossen sie, ein Medium zu Hilfe zu holen, um den Geist – oder was auch immer es war – zu vertreiben.
Das Medium meinte, eine geplagte, unzufriedene Seele in Pésis Nähe zu spüren, deren Anwesenheit sie aber nicht abwehren könne. Dasselbe behauptete eine Hellseherin, die ihnen eine Cousine von Berglind nachdrücklich empfohlen hatte. Beide gaben ihre Einschätzung nicht umsonst ab, und die finanzielle Lage der Familie war nicht so rosig, dass sie die Dienstleistungen sämtlicher Personen, die in den entsprechenden Kleinanzeigenspalten der Zeitungen inserierten, in Anspruch nehmen konnten. Der letzte Ausweg war der Gemeindepfarrer, den sie zum letzten Mal bei Pésis Taufe gesehen hatten. Der Mann war zunächst vorsichtig und schien das Ganze für einen Scherz zu halten. Berglinds blanke Angst blieb ihm jedoch nicht verborgen, und er änderte sein Verhalten, wollte aber nichts versprechen. Er besuchte sie ein paarmal und spürte die Kälte und die elektrische Ladung in Pésis Nähe am eigenen Leib. Daraufhin suchte er Rat beim Bischof, und schließlich führte die Staatskirche die erste Haussegnung seit über einem Jahrhundert durch, um einen Geist auszutreiben. Nachdem sie alle Zimmer durchschritten hatten, verkündete der Bischof feierlich, die Seele des Mädchens würde nicht wieder in ihr Haus kommen. Und wer hätte es gedacht – genau so war es auch.
Im Handumdrehen fühlte sich alles ganz anders an, wobei man schwer festmachen konnte, was genau sich verändert hatte. Die Atmosphäre im Haus war einfach wieder so wie früher. Natürlich war es schwierig, nicht mehr ständig mit etwas Unheimlichem in den eigenen vier Wänden zu rechnen, und es würde wohl einige Zeit brauchen, bis die Hände nicht mehr zitterten. Doch zweifellos würde die Zeit diese Wunde heilen, und Berglind gab sich mit einer langsamen, aber stetigen Besserung zufrieden.
Im ersten Stock knarrte das Parkett. Das Geräusch kam aus Pésis Zimmer. Berglind stellte ihr Glas ab und drehte sich langsam um. Plötzlich hatte sie einen trockenen Mund, und die Gänsehaut kam zurück. Verdammter Unsinn. Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis sie sich komplett erholt hatte. Mit langsamen Schritten ging sie die Treppe hinauf. Als sie an der Tür zum Kinderzimmer angelangt war, hörte sie den Jungen leise reden. Anstatt zu lauschen, öffnete sie vorsichtig die Tür. Pési stand auf Zehenspitzen am Fenster und spähte hinaus. Als er die Tür hörte, verstummte er und drehte sich um. Berglind schlug die Hand vor den Mund, als sie die beschlagene Fensterscheibe sah.
»Hallo, Mama.« Pési lächelte traurig.
Berglind eilte zu ihrem Sohn und riss ihn unsanft vom Fenster weg. Sie drückte ihn an sich und versuchte gleichzeitig, die Scheibe trockenzuwischen, aber die Dunstschicht verschwand nicht. Sie war von außen auf dem Glas.
Pési schaute seiner Mutter in die Augen. »Magga ist draußen und kann nicht rein. Sie möchte auf mich aufpassen.« Er zeigte zum Fenster und verzog das Gesicht. »Sie ist ein bisschen sauer.«
1 . KAPITEL
MONTAG ,
4 . JANUAR 2010
Von der Straße aus gesehen war das Haus unscheinbar. Ausländische Touristen mochten es für einen Bauernhof halten, dessen
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