Feuernacht
Bett.«
Fanndís blieb schweigend stehen. Ihr fehlte einfach der Mut, den Anfang zu machen. Das Leben ihrer dreiköpfigen Familie war vollkommen zerstört. Alles, was sie sich aufgebaut und erreicht hatten, war zusammengebrochen. Einvarður hatte im Ministerium eine schwierige Position, und der Traum von einer aufregenden Botschafterstelle war geplatzt. Lena hatte die Uni abgebrochen und verließ nur selten ihr Zimmer. Es war, als hätte man sie vergessen. Das Telefon klingelte nicht mehr. Fanndís wusste schon gar nicht mehr, wie sich der Klingelton anhörte.
Ihr Mann verließ das Wohnzimmer, ohne sie anzuschauen oder zu fragen, ob sie auch früh ins Bett wollte. Es überraschte sie nicht. Auch wenn er es nicht offen sagte, gab er ihr die Schuld an allem. Sie hatte das Mädchen überfahren. Sie war weitergefahren, nachdem sie im Rückspiegel gesehen hatte, dass das Mädchen tot war. Damals hatte Einvarður gesagt, er würde sie verstehen, Tryggvis Schreien und Lenas Weinen hätten sie durcheinandergebracht. Doch das, was sie beide wussten, erwähnte er nie mit einem Wort: dass sie auch wegen des Weins, den sie getrunken hatte, weitergefahren war. Vielleicht, weil er wusste, dass er daran schuld war. Er hatte die Einladung bei seiner Cousine abgelehnt. Wenn er an dem Abend nicht gearbeitet hätte, hätte er am Steuer gesessen. Der Gedanke an Einvarðurs Cousine machte Fanndís noch nervöser. Sie hatte gestern angerufen und Einvarður erzählt, die Polizei hätte sie nach dem Abend gefragt und ob Fanndís Alkohol getrunken hätte. Sie wollte ihm nicht sagen, was sie geantwortet hatte, und das bedeutete, dass die Polizei von den paar Gläsern wusste.
Entschlossen, sich einen Kaffee zu machen, auch wenn sie ihn alleine trinken musste, ging Fanndís in die Küche. Vielleicht konnte sie Lena überreden, runterzukommen und eine Tasse mit ihr zu trinken. Sonst würde sie eben alleine am Küchentisch sitzen. So war es inzwischen oft. Der Duft der Kaffeebohnen erweckte ein wohliges Gefühl in ihr, und sie hielt sich die Dose unter die Nase und atmete tief ein. Dann füllte sie etwas Kaffee in die Mühle und mahlte ihn. Als der Kaffee in der Maschine war und das Wasser kochte, fühlte sich Fanndís etwas besser; das vertraute Geräusch des kochenden Wassers beruhigte sie und ließ sie für einen Moment vergessen, wie hoffnungslos alles war. Sie mussten sich nur zusammenreißen und das Beste daraus machen. Die Zeit heilte alle Wunden, und andere Familien hatten schon größere Schwierigkeiten überwunden. Vielleicht war es der erste Schritt in eine bessere Zukunft, sich diese simple Tatsache bewusstzumachen. Auch wenn Einvarður keinen Botschafterposten mehr bekommen würde, kamen vielleicht eine niedrigere Position in einer ausländischen Botschaft oder ein Job fürs Außenministerium bei der NATO oder einer anderen internationalen Organisation in Frage. Schlimmer konnte es gar nicht werden – nur besser.
Plötzlich ging die Kaffeemaschine aus. Fanndís schaute die Maschine, die auf einmal stumm vor ihr auf dem Tisch stand, verwundert an. Das Wasser, das gerade noch gekocht hatte, war ganz ruhig. Fanndís versuchte, die Maschine wieder einzuschalten, aber es ging nicht. Sie kontrollierte, ob sich das Kabel gelockert hatte, aber das war nicht der Fall. Typisch. Fanndís hätte die Kaffeemaschine am liebsten auf die Fliesen geschmettert, malte sich aber nur aus, wie Scherben und Plastikteile in alle Richtungen sprangen und über den Boden rollten. Da bemerkte sie, dass die Uhr über dem Herd wie nach einem Stromausfall blinkte. Fanndís atmete tief ein. Doch anstatt mit frischer Luft füllte sich ihr Mund mit einem ekelhaften Geschmack. Es fühlte sich so an, als hätte sie durch ein rostiges Rohr eingeatmet. Fanndís musste bei dem Eisengeschmack würgen und ging automatisch zur Spüle. Zum Glück musste sie sich nicht übergeben und gewöhnte sich langsam an den üblen Geruch. Sie streckte die Hand nach dem Fenster aus, um frische Luft hereinzulassen, schreckte aber zurück, als sie einen Menschen oder einen Schatten draußen vorbeihuschen sah.
Fanndís legte die Hand auf ihre Brust, um ihren wilden Herzschlag zu beruhigen. Sie stand wie erstarrt da und versuchte, sich wieder zu fassen. Da bemerkte sie, dass die Fensterscheibe ganz langsam beschlug und ihr der Dunst den Blick in die Dunkelheit versperrte.
Über Yrsa Sigurðardóttir
Yrsa Sigurðardóttir
, geboren 1963, hat vor einigen Jahren neben ihrer Arbeit als
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