Feuerregen (Billy Bob Holland) (German Edition)
um und klopfte sie auf den Steinen aus, steckte sie dann in eine Papiertüte, verstaute sie im Rucksack und hängte ihn wieder an den Vorderzwiesel von Beaus Sattel.
»Verpfeifen Sie uns etwa?«, sagte Jessie.
Ich stellte den linken Fuß in den Steigbügel und schwang mich in den Sattel. Ich spürte, wie Beau den Kopf zurückreißen wollte.
»Ich fordere Sie nur einmal dazu auf, Jessie. Nehmen Sie die Hand von seinem Zaumzeug«, sagte ich.
»Dann antworten Sie mir gefälligst. Verpfeifen Sie uns oder nicht?«, sagte Jessie.
»Der Mann ist im Fluss getauft. Er hat den Fingerabdruck Gottes auf seiner Seele. Lass ihn ziehen, mein Junge«, sagte Skyler.
Die Sonne war mittlerweile hinter den Hügeln versunken, und die Luft war feucht und schwül, voller Moskitos und Fledermäuse, die Jagd auf sie machten. Ich durchquerte den Morast und ritt wieder die unbefestigte Straße entlang, zwischen den verlassenen Hütten hindurch, die von dem ekligen Altwasser umgeben waren. Ich spürte, wie eine Fledermaus an meine Hutkrone prallte, und duckte mich fortan über Beaus Widerrist, bis wir wieder auf festem Boden waren.
Peggy Jean wusste, dass Jessie Stump versucht hatte, ihrem Mann einen mit Widerhaken bewehrten Pfeil in den Kopf zu schießen. Dennoch hatte sie ihn und Skyler Doolittle gewarnt, sodass sie rechtzeitig hatten fliehen können.
Warum?
Genau das fragte ich zwei Stunden später Temple Carrol, während sie mit klatschenden Handschuhen auf den Sandsack hinter ihrem Haus eindrosch. Sie trug Khakishorts, ein graues Turnhemd und schwere Wanderstiefel mit dicken Socken, die sie über den Knöcheln umgeschlagen hatte, und ihre braunen Schenkel wirkten unter der hochgerollten kurzen Hose straff und muskulös.
»Vielleicht will Peggy Jean alles auf einmal. Vielleicht ist das seit jeher ihre Art«, sagte sie.
»Wie bitte?«, sagte ich.
Sie schlug wieder auf den Sandsack ein, links, rechts, links, rechts, dann ein harter rechter Haken, dass der Sack mitsamt der Kette ins Kreiseln geriet, würdigte mich keines Blickes.
»Kannst du das mal sein lassen?«, sagte ich.
»Ihr erster Freund war Soldat und ist in Vietnam gefallen. Danach hat sie’s mit ’nem Arbeiterjungen wie dir probiert. Dann hat sie sich einen anderen Soldaten gesucht, diesmal einen Jungen mit Geld. Vielleicht will sie das Geld behalten und auch das monströse Haus, in dem sie wohnen, will aber gleichzeitig wieder mit dir ins Heu. Fühlst du dich geschmeichelt?«, sagte sie.
»Eine ziemlich harte Einschätzung.«
»Tut mir Leid. Ich geh mir den Mund mit Ajax ausspülen«, sagte sie.
Sie machte sich wieder am Sandsack zu schaffen. Der Mond stand groß und gelb hinter dem Pecanbaum auf ihrem Hof. Draußen in der Dunkelheit hörte ich das Maisfeld ihres Nachbarn im Wind rascheln. Ihr invalider Vater war im Haus. Ich konnte seine Silhouette sehen, wie er im Rollstuhl vor dem Fernseher im Wohnzimmer saß.
»Bist du sauer auf mich?«, sagte ich.
»Nein, eigentlich nicht. Du bist eben einfach so, wie du bist. Ich kann’s nicht ändern«, antwortete sie.
Ich schlang den Arm über den Sandsack.
»Du hast mich noch nie im Stich gelassen. Du bist große Klasse, Temple«, sagte ich.
»Du lebst mit Gespenstern. Gegen die komme ich nicht an.«
»Red nicht so ein Zeug daher.«
»Du verstehst nichts von Frauen, Billy Bob. Zumindest verstehst du nichts von mir.«
Ich legte ihr die Hände auf die Schultern, während sie noch kopfschüttelnd dastand.
»Ich bin völlig verschwitzt«, sagte sie.
Ich tippte in die Schweißpfütze in ihrer Nackenbeuge, strich dann mit den Händen über ihren Rücken hinab, spürte die angespannten Muskeln, den Ansatz ihrer Taille. Meine Lippen streiften über ihre Wangen, und zum ersten Mal in all den Jahren, in denen wir eng miteinander befreundet waren, überschritt ich bewusst eine Grenze.
Sie stellte sich auf die Zehen, schmiegte sich mit dem Bauch an meinen Unterleib, als ob sie mich küssen wollte, verzog dann das Gesicht und stürmte zum Haus, schmiss die Handschuhe einfach in den Staub, schloss die Tür und verriegelte sie hinter sich.
26
Wesley Rhodes stand in der kühlen Abendluft an der Ecke des Rathausplatzes, genau gegenüber vom Gerichtsgebäude, und beobachtete die jungen Oberschülerinnen, die bei dem mexikanischen Lebensmittelladen ein- und ausgingen, in dem es hinten eine Bar mit Sodasyphon gab. Sie kicherten miteinander, trugen Zahnspangen und reizten ihn auf irgendeine Art und Weise, die er selber nicht
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