Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Schieb dich an mir vorbei, ich will noch das Loch verschließen!“
Wolfgang wartete, bis Geraldine um ihn herumgekrochen war, und tastete die Umgebung ab.
„Ah, hier ist eine Klappe mit einem Hahn, den man zudrehen kann … oder so was Ähnliches!“
„Wovon redest du?“, fragte Geraldine mit Panik in der Stimme. „Wo sind wir hier? In der Kanalisation?“
Wolfgang hatte den Schließmechanismus trotz Dunkelheit bald durchschaut und alle drei Hähne zugedreht, die dafür sorgten, dass das Loch in Wolfgangs und Geraldines Rücken durch einen Metalldeckel fest verschlossen wurde. Ihr Vater würde eine Weile brauchen, bis er das aufbekam!
„Fertig!“, sagte er. „Weiter geht’s!“
Geraldine räusperte sich laut, um ihre Skepsis zum Ausdruck zu bringen. Sie war kein zimperliches Mädchen, aber Wasser, Muff und Moder im Dunkeln waren nicht so ganz nach ihrem Geschmack. Außerdem war es kühl in dem Hohlraum, in dem sie sich befanden.
„Soll ich vorauskriechen?“, fragte er, da Geraldine keine Anstalten machte, sich zu bewegen.
„Nein, geht schon“, erwiderte sie, bei ihrem Stolz gepackt.
Sie ließ ihren Worten Taten folgen und tastete sich durch das nasse Dunkel voran. Bei dem dunklen Tunnel, durch den sie krochen, handelte es sich vermutlich um ein großes Rohr. Mehr und mehr Wasser sammelte sich um ihre Knie und Hände, je näher sie dem Ausgang kamen. Es floss und strömte nun, da sich das Rohr abwärts neigte.
„Vielleicht führt das Rohr in die Donau?“, fragte Geraldine nach einer Weile des wortlosen Robbens.
„Hm, glaube nicht“, sagte Wolfgang.
„Ob Oma was von dem Tunnel weiß?“
„Bestimmt nicht.“
Geraldine drehte sich ab und zu um, da sie erwartete, dass ihr Vater hinter ihnen hergekrochen kam. Aber hinter ihr und Wolfgang war nichts als Dunkelheit und tropfende Stille.
Der Duft von Bäumen und Wald verstärkte sich, als Wolfgang und Geraldine den Ausgang erreichten. Sehr viel heller wurde es nicht, was wohl daran lag, dass es im Freien regnete. Neugierig steckten sie ihre Köpfe aus dem Rohr, das hier, wo es sich ins Freie öffnete, so groß war, dass Geraldine und Wolfgang nebeneinandersitzen und hinausschauen konnten.
„Oh!“, sagte Geraldine.
Wolfgang sagte gar nichts. Verwundert hockte er im Wasser, das spritzend um ihn herumgurgelte und dann als kleiner Wasserfall hinaus in den Regen stürzte.
„Hier waren wir noch nie“, stellte Geraldine nüchtern fest.
Ja, hier waren sie bestimmt noch nie gewesen. Sie hatten noch nie so hohe Bäume gesehen oder so dichte, mächtige Flechten, wie sie von den Ästen der Riesenbäume herabhingen. Sie hüllten die Stämme ein wie zerrissene Lumpen, nass und tropfend im Regen, dunkelblau, modrig grün und phosphorgelb. Am Boden, wo Moos und Dornengestrüpp um die Wette wucherten, wand sich ein Pfad vom Ausgang des Rohrs in das unwirtliche Innere dieses nass-dunkel-düsteren Waldes. Wohin er am Ende führte, das war die große Frage.
„Wenn wir schon mal hier sind“, sagte Wolfgang so unbefangen wie möglich, „dann sollten wir den Weg auch ausprobieren. Was meinst du, Dine?“
Geraldine warf einen Blick nach oben (Nebel, Nebel, Nebel) und einen Blick nach unten auf den Pfad (Pfützen, Pfützen, Pfützen) und sagte:
„Mit Regenschirm und Gummistiefeln vielleicht!“
„Sonst noch was?“, fragte Wolfgang und stieß sich vom Rand des Rohres ab, um in einem großen Satz hinunter auf den Waldboden zu springen. Er landete weich und der Schlamm unter seinen Sommersandalen spritzte nach allen Seiten. Er lachte darüber.
„Jetzt du!“
„Wolf, wie kommen wir wieder nach oben, wenn wir beide unten sind?“
„Wir finden schon einen Weg!“, rief Wolfgang, obwohl er im Moment keinen entdeckte.
Er hatte sowieso nicht vor, in das Rohr zurückzuklettern. Jedenfalls nicht in diesen Ferien. Wie immer ließ sich Geraldine von der Zuversicht ihres Bruders leiten und sprang. Als sie bei der Landung mit dem Fuß umknickte, fing er sie auf und stützte sie, damit sie nicht hinfiel.
„Danke, Wolf!“, sagte sie, nachdem sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte. „Geh voraus!“
Sie hatten gehofft, der Pfad werde sie von einem ungemütlichen Teil des Waldes in eine hübschere Gegend führen. Diese Hoffnung erwies sich als vergebens. Der Pfad verwandelte sich mehr und mehr in einen schlammigen Bach mit starker Strömung und führte sie in ein überflutetes Labyrinth aus meterhohen, schwarzen Baumwurzeln. Die Bäume waren
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