Feuerscherben
Feuer in diese Richtung. Wahrscheinlich blieb ihr gar keine Zeit, Jon in Sicherheit zu bringen, bevor die Küche in hellen Flammen stand.
Claire kniete sich hin, zog Jon auf ihren Rücken und legte seine Hände um ihren Hals. Sobald sie zu kriechen begann, öffneten sich die Hände wieder, und Jon rutsche beiseite.
»Halt dich fest, Jon«, krächzte sie. Tränen rannen ihre Wangen hinab. »Du musst mithelfen, wenn ich dich retten soll.«
Natürlich antwortete er nicht. Sie erwartete es auch gar nicht. Er konnte es nicht. Ihr Handtuch war längst getrocknet, und sie zerrte es herunter und versuchte, etwas mehr Sauerstoff in ihre schwer atmenden Lungen zu bekommen. Doch sie atmete nur Rauch ein. Verzweifelt drehte sie sich herum und wollte Jon auf die Schultern hieven. Wie sollte sie den Mann nach draußen bringen, wenn er sich nicht einmal festhalten konnte?
Gerade als sie den schweren Körper anheben wollte, stürzte ein brennender Balken von der Decke und landete mitten auf seinem Rücken. Sengende Holzsplitter sprangen quer über ihre Brust.
Claire schrie auf und wich instinktiv zurück. Jons Körper glühte im Schein der Flammen auf. Im nächsten Moment begann seine Haut entsetzlich zu zischen.
Claire konnte unmöglich zusehen. Kreischend rannte sie vor dem grausigen Brüllen der Flammen, dem schrecklichen blutroten Feuerball davon. Blindlings stieß sie an die Wände, tastete sich weiter und erreichte den rückwärtigen Flur.
Die Hintertür bot ebenfalls keinen Fluchtweg mehr. Sie hatte sich längst in eine undurchdringliche scharlachrote Barriere verwandelt. Claire kämpfte sich durch den Rauch und die Trümmer ins Badezimmer, kletterte auf den Wannenrand und zerrte an dem Fenster. Doch es ließ sich nicht weiter öffnen. Claire war wie von Sinnen von dem Verlangen, dem Inferno zu entkommen. Noch stärker als der Wunsch, sich zu retten, war das Bedürfnis, vor dem Bild von Jons schrecklichem Ende zu fliehen.
Entschlossen wickelte sie ein Badetuch um ihre Faust und schlug auf die Glasscheibe ein, bis nur der Rahmen übrig blieb. Sie hievte sich über die Fensterbank und ließ sich auf allen vieren zu Boden fallen, ohne den Sprung bewusst zu erleben. Kopflos vor Entsetzen über Jons brennenden Körper rang sie nach Luft und floh in die Dunkelheit.
Sie stürzte in den Wald, und ihre rosa Slipper versanken im tiefen Schnee. Sie rannte und rannte, bis sie nicht mehr konnte. Zutiefst beschämt, lehnte sie sich an einen Baumstamm, schlang die Arme um sich und schaukelte schluchzend hin und her. Was sollte sie sagen, wenn die Leute Jons Körper fanden? Wie sollte sie die Tatsache erklären, dass sie sich gerettet hatte, während Jon Kaplan in dem Feuer umgekommen war?
Der Schnee drang durch ihre Slipper, und ihre Zähne begannen vor Kälte zu klappern. Sosehr sie den Gedanken an die Behörden verabscheute, sie musste zur Hauptstraße hinunter, die ganze Meile bis zu den nächsten Nachbarn laufen und berichten, was geschehen war. Die Strickjacke und das T-Shirt, die sie im Blockhaus warm gehalten hatten, waren für eine Nacht in den Green Mountains von Vermont absolut ungeeignet. Sie musste sich unbedingt bewegen, wenn sie nicht erfrieren wollte.
Claire zog die Ärmel der Strickjacke über ihre gefühllosen Finger und begann, mühsam in Richtung Straße zu laufen. Am Rand der Lichtung drehte sie sich noch einmal um und wollte einen letzten Blick auf das brennende Blockhaus werfen. Entsetzt blieb sie wie angewurzelt stehen.
Ein Jeep kam aus dem Wald hinter dem Haus und fuhr langsam in Richtung Straße. Der Fahrer, der sich hinter dem karierten Schal und der Mütze mit demselben Muster verbarg, glich nur einem massigen Schatten hinter dem Lenkrad. Doch das Nummernschild war im hellen Flammenschein deutlich zu erkennen.
ABC 4.
Die Buchstaben ABC standen für Andrew Brentwood Campbell, und die Ziffer vier bezeichnete die Rangfolge des Jeeps innerhalb von Andrews Wagenpark. Claire kannte diesen Andrew Brentwood Campbell sehr gut.
Er war ihr Vater.
1. KAPITEL
Miami, Florida, sieben Jahre später
Das Motel bot seinen Gästen saubere Zimmer, sechsunddreißig Kanäle des Kabelfernsehens, einen Rabatt für Senioren und kostenlosen Kaffee in der Eingangshalle. Eine ausreichende Beleuchtung und ein größerer Tisch gehören leider nicht zu den Annehmlichkeiten, stellte Dianna Mason bald fest.
Doch sie war es gewohnt, zu improvisieren, und die Unzulänglichkeiten des Zimmers machten ihr nichts aus. Sie überhörte
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