Feuersteins Drittes
Einheimischen aus, mit der Betonung auf dem »ö«, was in englischen Ohren wie »Burma« klingt und in deutschen wie »Birma«. Sie dürfen daher nach wie vor »Birma« oder »Burma« sagen, aber auf Briefen und Visumanträgen sollten Sie Myanmar schreiben, sonst gelten Sie als Kolonialist oder schlimmer noch, als Oppositioneller, und dann gibt’s Ärger mit den Generälen. Und damit sind wir beim Thema Militärdiktatur.
Das ist so eine Sache mit der politischen Korrektheit. Würden wir sie einhalten, dürfte man so gut wie gar keine Reisen mehr machen: Die arabischen Emirate sind alles andere als Demokratien, in den USA haben Ausländer inzwischen jeden Rechtsschutz verloren, in China sind Demonstrationen lebensgefährlich und Grönland ist eine dänische Kolonie — um nur mal ein paar unserer besten Freunde zu nennen. Natürlich ist Birma eine Militärdiktatur, eine kleinkarierte und intolerante noch dazu, die mit plumpen, oft grausamen Methoden bemüht ist, diesen Vielvölkerstaat von 50 Millionen Menschen auf der doppelten Fläche Deutschlands unter Kontrolle zu behalten. Mein Fernbleiben würde daran keinen Deut ändern, mein Besuch hingegen verhilft ein paar Leuten zu ein paar Dollar, die sie dringend brauchen, und ist vielleicht auch ein winziger Beitrag zum besseren gegenseitigen Verstehen.
Birma bietet sich dem Besucher als liebenswertes, fröhliches Land dar, das zumindest jenen, die nicht mitmachen wollen, die Flucht zu Buddha gestattet — nirgendwo in Asien gibt es mehr Mönche im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung als hier. Zwar ist das Auge der Generäle allgegenwärtig und der Geheimdienst alles andere als geheim, doch gibt es hier unendlich weniger Gewalt als in vielen Ländern Schwarzafrikas, deren Millionen Tote und Vertriebene wir schon so viele Jahre lang ignorieren oder verdrängen. Aber ganz abgesehen davon: Meine Neugier erträgt kein Reiseverbot. Ich fahre, wohin ich will. Nach Miami ebenso wie nach Dubai, nach China und nach Grönland, selbst nach Schwarzafrika. Die Welt ist voller Widersprüche, und Gerechtigkeit eine Illusion. Wer meint, auf der Seite der Wahrheit zu stehen, hat von vornherein verloren.
Es war schon die dritte Reise nach Birma, zum zweiten Mal mit meiner Frau. Denn die erste Reise in ein neues Land muss ich immer allein antreten, um zu erkunden, ob es dort Spinnen oder Quallen gibt. In solche Länder fährt sie nicht. Zum Glück sind Spinnen und Quallen in Birma unbekannt, und ich schwöre Ihnen, das stimmt. Denn diese Zeilen werden ja auch von meiner Frau gelesen, und die würde nie wieder mit mir reisen, wenn ich die Unwahrheit sagte. Ob ich jetzt beim Niederschreiben mit den Augen zwinkere oder zwei Finger hinter meinem Rücken gekreuzt halte, kann ja keiner sehen. Also wiederhole ich: In Birma gibt es weder Spinnen noch Quallen, und damit basta.
Wie immer holte uns Mr. Williams am Flughafen von Yangon ab, der Hauptstadt Birmas am Golf von Bengalen, und wie immer war er im Chaos der Wartenden, das einen umspült, wenn man von der disziplinierten Ordnung eines Weltflughafens in die Wirklichkeit einer armen, aber über alle Maßen vitalen Millionenstadt ausgespien wird, sofort erkennbar: Im makellosen Anzug, die schwarze Aktentasche in der Linken, trat er aus der Menge, verbeugte sich und hielt mit ernster Miene eine kurze, wohlgesetzte Rede, ungeachtet der Hotellotsen und Taxifahrer, die von allen Seiten an den Ärmeln zerrten. Aber da dies schon unsere dritte Birma-Reise war, störte es uns nicht weiter, denn wir wussten, es würde alles gut gehen, auch wenn uns verwegen aussehende Kerle bereits am Gepäckband alle Koffer und Taschen entrissen hatten und in verschiedene Richtungen davongestürmt waren. Mich selber hätte das auch schon beim ersten Mal nicht gestört, denn ich bin über alle Maßen vertrauensselig und überlasse Unbekannten lächelnd auch die Tasche mit Geld und Reisepass. Ich bin zwar schon des Öfteren bestohlen worden, aber weil es im Showgeschäft ständig passiert, dass man für nichts zu viel Geld kriegt, bin ich fast erleichtert, wenn es mir jemand hin und wieder unrechtmäßig abnimmt; ich habe dann bei der nächsten Honorarverhandlung gleich viel weniger Schuldgefühle.
Ebenso ernst und feierlich erfolgte nun die Übergabe der Flugscheine und Tickets für das Schiff. Zu diesem Zweck nahm Mr. Williams einen großformatigen Notizblock aus dem Aktenkoffer und trug in die von ihm selber sorgfältig vorlinierten Rubriken jede Einzelheit
Weitere Kostenlose Bücher