Feuersteins Drittes
wurde, vielleicht waren es auch die Personalkosten, jedenfalls wurde Anfang der sechziger Jahre beschlossen, dass die Hälfte des Geländes für eine allein stehende, alte Dame eigentlich ausreicht. Da ein Verkauf nicht in Frage kam — für königlichen Grund und Boden wäre das in Thailand undenkbar —, wurde der überschüssige Teil zur Verpachtung ausgeschrieben.
Investoren aus aller Welt rissen sich um diese einmalige Chance, denn das war die Zeit des Vietnamkriegs, die amerikanischen Soldaten hatten Bangkok gerade als Kurzurlaubsziel für Lust und Laster entdeckt, die Stadt erlebte ihren ersten Touristenboom. Doch gab es bei der Planung das gleiche, unüberwindbare Hindernis, das mich im verfallenen Bootshaus gezwungen hatte, heimlich auf Dachbohlen zu klettern: Niemand außer Buddha darf auf den König herabschauen.
Das Tabu wurde zur Bauvorschrift: Jede Art von Gebäude, das einen Blick in den Garten der Königsmutter zuließe, war chancenlos. Aus war damit der Traum der Investoren vom Hochhauskomplex, machbar war nur ein tief gestapeltes Parkhotel, umgeben von einer hohen Mauer. Empfangshalle und Restaurants wurden unter einem siamesischen Riesendach ohne Ausguck versteckt, die beiden Gästeflügel mit dem Pool in der Mitte blieben mit ihren beiden Stockwerken noch unter der Baumhöhe, und alles ordnete sich der flachen Natur des Gartens unter... jetzt mal abgesehen von einem hässlichen fünfstöckigen Nebengebäude direkt an der Straße, in dem die Pauschaltouristen weggesperrt wurden, abseits und unsichtbar, außer zum Frühstück. Aber auch von dort war der Blick ins königliche Privatleben unmöglich. Ebenso wie im später erbauten Siam-Center gab es hier Fenster nur auf drei Seiten; die Rückseite, dem Palast zugewandt, blieb zugemauert und aussichtslos.
Als ich 1976, bei meinem ersten Thailand-Besuch, das Interconti entdeckte, war es schon zwölf Jahre alt. Am 11. Dezember 1964 hatte es die königliche Pachtgeberin von nebenan persönlich eröffnet, und zwar Punkt zehn Uhr morgens, einer Stunde, die der Hofastrologe als die günstigste errechnet hatte — für sich selber wahrscheinlich, damit er nicht so früh aufstehen musste. Und auf dass auch wirklich nichts schief geht, wurden gleich zwei Geisterhäuschen auf dem Grundstück errichtet: das eine vorn beim Eingang, das andere ganz hinten, versteckt unter den Bäumen, für die Geister, die den Straßenlärm nicht mögen...
Keinem Hotel der Welt habe ich so sehr die Treue gehalten: Mindestens einmal im Jahr war ich dort, Pflichtstation auf jeder Asienreise, Zwischenstopp auf dem Weg nach Australien, und wenn man nach Tahiti oder Hawaii will, ist es mit Umsteigen im Garten des Interconti fast gleich weit wie über Los Angeles.
Da bleibt es nicht aus, dass man über die Jahre auch persönliche Kontakte knüpft: mit der schelmischen, ein bisschen boshaften Khun 27 P’pi, die für die Reservierungen zuständig war, bis sie, nach einem guten Jahrzehnt, auf die andere Seite der Mauer wechselte, als Hofdame im Lotusteich-Palast. Oder dem alten Pool-Steward, der mich nach dem Mittagsschläfchen immer mit dem besten Getränk der Tropen verwöhnte, dieser Wunderkur, die alles zu heilen vermag, vom Jetlag über den Kater bis zu den fernöstlichen Verwandten von Montezumas Rache: frischer, eisgekühlter Kokosnusssaft direkt aus der Schale. Und vor allem mit Khun Sompong, dem Chef-Concierge, Berater und Freund, der mir beim Betreten der Hotelhalle immer schon von weitem entgegenrief, dass es nichts Neues gab: »No fax, no message!« — wobei er das »x« immer als »ck« aussprach, was alle männlichen Geschäftsleute in der Lobby verwundert aufblicken ließ, weil Enthaltsamkeit in Bangkok in ihren Kreisen unvorstellbar ist.
Natürlich erstreckten sich diese Kontakte auch auf die Tiere. Zugegeben, mit einigen klappte die Kommunikation nicht so toll, die Papageien waren zu launisch, die Pelikane zu weise, die weißen Schwäne zu arrogant. Aber mit anderen entwickelten sich richtige Freundschaften. Mit dem schwarzen Schwan zum Beispiel und mit den beiden Gänsen, mit dem »Neun-Uhr-Pfau« und vor allem mit dem dummen Huhn.
Den schwarzen Schwan habe ich schon vor einigen Jahren kennen gelernt. Man hatte ihn im Hotel abgegeben, in jämmerlichem Zustand: Flügel gebrochen, ein Bein verletzt, Probleme mit dem Hals. Da die arroganten weißen Schwäne sofort über ihn herfielen, zog er sich in die hinterste Ecke des Regenwäldchens zurück, und da er sich
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