Feuersteins Drittes
anfangs kaum bewegen konnte, lehnte er jede Annäherung mit Schnabelhieben und Fauchen ab. Aber bei meinem nächsten Besuch, ein halbes Jahr später, ging es ihm schon wesentlich besser. Allmählich wurde er zutraulich und watschelte mir entgegen, wenn ich mit Weintrauben kam, und zuletzt sah er wieder so stolz und prächtig aus, wie man das von einem Schwan erwartet. Er bewohnte immer noch das gleiche Revier fernab von den anderen Schwänen, teilte es aber inzwischen mit zwei weißen Gänsen, einem Ehepaar, das alles im Einklang betrieb, synchron wie die Kessler-Zwillinge: gründeln, fressen, schnattern und marschieren. Im Gänsemarsch natürlich.
Den »Neun-Uhr-Pfau« hatte meine Frau so getauft, weil er täglich Punkt neun auf der Gartenseite unseres Zimmers aufkreuzte und so lange schrie, bis er von ihr eine Weintraube oder ein Stück Banane bekam. Dann schlug er ein Rad, um ihr zu zeigen, dass er schöner war als ich, und stolzierte davon, zu seinem Kumpel, dem »Hupen-Pfau«, der anders als seine Artgenossen nicht mit dieser weinerlichen Mischung von Katze und Baby schrie, sondern immer nur einen einzigen, dumpfen Ton ausstieß, wie die Gummihupe eines Bugatti der dreißiger Jahre.
Am meisten aber liebten wir das dumme Huhn. Wir nannten es so, weil es in einen Pfau verliebt war, obwohl es selbst gar kein Pfauenmädchen war, sondern ein Perlhuhn (Numidia meleagaris), das einzige seiner Art im Hotelgarten. Mit seinem kahlen Kopf und dem viel zu großen Leib war es nicht gerade eine Schönheit, aber in seiner Treue bewundernswert: immer im Windschatten des Angebeteten, immer unaufdringliche drei Schritte hinter ihm... Durchaus möglich, dass der Pfau in all den Jahren seinen Kurschatten noch gar nicht bemerkt hat. Unbestechlich war es noch dazu. Denn während die Pfaue sofort antrabten, wenn meine nachmittägliche Kokosnuss aufgetischt wurde, weil sie wussten, dass sie das Fruchtfleisch zum Abschlabbern kriegten, ließ sich das dumme Huhn durch kein Fressen der Welt ablenken: Es hatte nur Augen für seinen Pfau und für nichts anderes auf der Welt. Mehrmals versuchte ich, meine Frau auf dieses beispielhafte Vorbild der Natur aufmerksam zu machen, aber sie sagte nur »aha« und las weiter in der Biographie Anna Schopenhauers, der Mutter des großen Philosophen, deren Leben sich erst zu entfalten begann, nachdem sich ihr Ehemann umgebracht hatte.
Und so vergingen die Jahre. Alle zehn wurde der königliche Pachtvertrag erneuert, dazwischen verfiel das Hotel ein bisschen, wurde aber immer wieder auf Trab gebracht, und ich nutzte die Zeit meiner Besuche, alles über Pfauen zu lernen. Zum Beispiel, dass man seine Füße nicht einziehen muss, wenn sie ganz nahe am Liegestuhl vorbeispazieren, da Pfaue nur an Früchten knabbern, nicht aber an Zehen. Und vor allem, dass sie nicht nur rennen, sondern auch fliegen können: Jedes Mal, wenn es Nacht wird, erinnern sich Pfaue daran, dass sie Vögel sind, und schwingen sich auf einen Baum. Nur da oben fühlen sie sich zum Schlafen sicher, auch wenn es in Hotelgärten längst keine Tiger mehr gibt. Im Interconti musste man so was wissen, wenn man nachts unter Bäumen spazieren ging, denn Pfauenkacke ist kein Fliegenschiss und ganz schön ätzend noch dazu.
1997 schlug das Schicksal zu: Königsmutter Srinagarindra, die alte Dame im Palast nebenan, verstarb im Alter von 92 Jahren. Wer je ihr Bild gesehen hat, konnte sich ihrer Ausstrahlung nicht entziehen: ein zarter, zerbrechlicher Körper mit wachen, neugierigen Augen, das esoterische Gegenstück zur prallen Queen Mum von England, die es auf 101 Jahre gebracht hatte, nicht zuletzt dank ihrer täglichen Gin-Ration, da ja Alkohol nicht nur die Zeit schneller vergehen lässt, sondern auch den Körper von innen her konserviert.
Mae Fah Luang nennen die Thailänder die Mutter ihres Königs mit fast religiöser Verehrung noch heute, die »Mutter, die vom Himmel kommt«, weil sie bis zuletzt regelmäßig per Hubschrauber über ihrem Lieblingsprojekt im Goldenen Dreieck eingeschwebt war, ganz oben im Norden, direkt an der birmesischen Grenze. Bis vor zwanzig Jahren überwogen hier noch die heimlichen Mohnfelder, die ganze Gegend war fest in der Hand der Opium-Mafia. Heute ist daraus Doi Tung geworden, eine Art Staat im Staat: 150 Quadratkilometer Bergland wurden aufgeforstet und bilden die Heimat für ein paar tausend Großfamilien der einheimischen Bergstämme, der Akha-, Lahu- und Liseh-Völker.
Wenn Sie zu den Neugierigen
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