Feuersteins Drittes
Mutter drin, sagte ich, die wollte immer schon nach New York, aber zu Lebzeiten hätte es nie geklappt. Ich erwartete natürlich, dass die Zollbeamten die Kiste öffnen würden, und dann würden wir beide lachen.
Aber die Beamten vertrauten meiner Zollerklärung und öffneten die Kiste nicht. Daniel Keel war so müde vom Flug und so beeindruckt von meiner Geschichte und von Amerika noch dazu, wo ja bekanntlich alles möglich ist, dass er mir die Sache abnahm. Ich ließ ihn in dem Glauben, weil mir die Wahrheit — wie so oft — viel zu banal erschien. Außerdem wollte meine Mutter tatsächlich immer nach New York, war aber 1967 schon zwölf Jahre tot.
Zu zweit schleppten wir die schwere Kiste über den gar nicht so kurzen Weg zum Parkplatz. Keel knickte vor Erschöpfung fast zusammen, und weil die riesige Kiste ziemlich verkehrswidrig aus dem offenen Kofferraum meines Autos ragte, fuhr ich über Schleichwege durch Brooklyn und Queens zu meinem Haus, während der Verleger besorgt auf dem Rücksitz kniete, um aufzupassen, dass ich meine Mutter nicht verlöre — zum zweiten Mal gewissermaßen. Es ging alles gut, und den Kerzenleuchter habe ich heute noch.
Auf dieser Reise besuchte Keel drei Leute, die für seinen Verlag wichtig werden sollten: Carson McCullers — ich chauffierte ihn zu ihrem Häuschen in New Jersey, sie empfing uns am Gartentor, und ich habe das Bild noch klar vor Augen: eine grauhaarige, liebenswerte, alte Dame vor einer Gartenidylle wie von Norman Rockwell gemalt; ferner den Zeichner Maurice Sendac mit seinen grimmigfreundlichen Tierfiguren; und schließlich den genialen und auch damals schon herrlich wahnsinnigen Schweiz-Kanadier Tomi Ungerer.
Ich muss ein guter Reiseführer gewesen sein... oder war es die Sache mit dem Sarg meiner Mutter? Jedenfalls war Keel so angetan, dass er mir den Auftrag gab, im Rahmen der damaligen Diogenes-Reihe Reisen für Anfänger den New-York-Führer zu schreiben. Mit Illustrationen von Tomi Ungerer. Mein erstes Buch.
Sofort rief ich Ungerer an: Er war auf Anhieb herzlich und lud mich in sein Atelier ein, in der 42. Straße West gelegen, direkt am Times Square, damals die wüsteste Gegend von Mid-Manhattan mit Drogenhändlern, Pornokinos und Nutten aller drei Geschlechter. Voller Erwartung fuhr ich hin, einmal wegen des Buches und zum anderen, weil mir Keel erzählt hatte, dass die einzige Sitzgelegenheit für seine Gäste ein gynäkologischer Untersuchungsstuhl war. Aber Tomi Ungerer war nicht da, er hatte die Einladung wohl vergessen.
Die Zeichnungen machte er trotzdem, das Buch erschien, und ich war unglaublich stolz: Aus den schlammigen Niederungen der Zeitungsschreiber war ich endlich in den Autorenhimmel aufgestiegen. Millionen Leser 38 würden fortan New York durch meine Augen sehen, meine Stadt gehörte jetzt noch mehr mir.
Tomi Ungerer habe ich übrigens bis heute noch nicht persönlich kennen gelernt.
Charlie lacht, Jesus hilft
Natürlich habe ich Wolpers und seine kriminelle Energie im Ansturm der Erinnerung nicht vergessen. Nur ein bisschen verdrängt. Damals, in meinen New Yorker Jahren, hatte er ja noch gar nicht gelebt. Erst 1991 war er in mein Leben gedrungen, ganz plötzlich, als Praktikant bei Schmidteinander. Wenn immer in der Live-Sendung etwas schief ging, hatten wir ihn — zu Recht — dafür verantwortlich gemacht, nach einem stets gleich ablaufenden Ritual: »Wer ist schuld?«, fragten Schmidt und ich, und dann riefen wir »WOLPERS!!!«, und die Regie spielte ein Band ein, das zeigte, wie wir ihn zu Tode prügelten. Ach, hätten wir das damals doch wirklich getan. Präventive Notwehr nennt man das. Sehr beliebt bei den Amerikanern.
Wie immer zu Drehbeginn herrschte auch bei unserem New-York-Film zunächst ungetrübte Harmonie. Wir waren sicher, dass sich die Krisen der Vergangenheit nicht wiederholen würden — wir hatten schließlich dazugelernt, und außerdem war ein »Neuer« dabei, vor dem wir uns nicht blamieren wollten: ein zweiter Stefan, den wir Ton-Stefan nannten, im Unterschied zum Kamera-Stefan. Erik, unser bisheriger Tonmann, war nicht mehr auffindbar gewesen. Wolpers UND mich ertragen zu müssen, war wohl über die Kräfte des schweigsamen, sensiblen Friesenkämpfers gegangen, und er hatte sich versteckt. Wahrscheinlich ist er Einsiedler in Tibet geworden und melkt Grunzochsen in 6000 Metern Höhe.
Da ich, wie schon mehrfach erwähnt, ein Anhänger der Seilschaft bin und wenig Lust habe, neue Gesichter kennen zu
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