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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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Vaters über seinen verlorenen, aber wieder gefundenen Sohn, samt Tochter gratis mit dazu: »Gebt euch weiter Mühe. Denn wer suchet, wird nicht abgewiesen. Willkommen in unserer Kirche. Fünf Dollar kostet die Anmeldung und noch mal fünf Dollar die Trauung. Zwei Dollar für den Küster.«
    Am 2. Oktober 1960 war ich in New York angekommen, am 30. November heirateten wir. Und weil ich mir tatsächlich Mühe gab und suchte, wurde ich nicht abgewiesen, sondern begann am 1. Januar 1961 meinen ersten Job: Bei der damals noch täglich erscheinenden, deutschsprachigen New Yorker Staatszeitung und Herold , wo ich als Hafenreporter (für 69 Dollar die Woche) anfing und als Chefredakteur (für 212 Dollar) aufhörte, als ich im Herbst 1969 Amerika wieder verließ.
    Dazwischen liegt mein New York, und da ich angesichts der drei großen Schubladen mit Briefen, Zeitungsausschnitten und Psychiater-Rechnungen immer noch große Bange von einer richtigen biografischen Verarbeitung dieser zehn Jahre habe, setze ich jetzt den Zeitraffer ein, den Schnelldurchlauf, mit mehr oder weniger willkürlich gewählten Haltepunkten. Freeze nennt man diese im Filmjargon.
    Schon wenige Monate später, sobald wir es uns leisten konnten, übersiedelten wir in eine richtige Wohnung, mit Schlafzimmer-Wohnzimmer-Küche und ungeteiltem Bad — die große Erleichterung, da unser Spanner-Nachbar schon nach drei Wochen auf Kaution aus dem Knast entlassen worden war. Sie lag in Woodside, Stadtteil Queens, gleich um die Ecke der Roosevelt-Avenue, wo die U-Bahn als kreischende, klapprige Hochbahn auf Metallstelzen über der Straße donnert. Zu meiner Arbeit waren es nur zehn Minuten zu Fuß. Kakerlaken gab es hier zwar auch, aber lang nicht so viele. Vor allem waren sie vernünftiger: Sie hielten sich vorwiegend in der Küche auf und bestanden nicht wie ihre Westside-Verwandten darauf, mit uns das Bett zu teilen.
    Die Wohnung war komplett möbliert und gehörte einer älteren Witwe, die für ein Jahr ihre Tochter in Kalifornien besuchen wollte. Und da man in Amerika ohnehin dauernd umzieht und deshalb mit Wohnungen nicht zimperlich umgeht, war es selbstverständlich, dass sie die ihre für diese Zeit untervermietete, samt Bettlaken und Geschirr. Ganz unproblematisch übrigens: Ein nettes Vorgespräch, eine Unterschrift und der Umstand, dass ich bei einer deutschen Zeitung arbeitete, genügten ihr als Kaution... Kinder, was waren das noch Zeiten!
    Natürlich ging das nicht gut mit dem »Jahr bei der Tochter«, und schon nach fünf Monaten schrieb uns die liebe Dame, mit Tränenflecken auf dem Briefpapier, sie würde gern vorzeitig zurückkehren, bitte, bitte, wenn irgendwie möglich. Also zogen wir abermals um, in eine noch richtigere Wohnung: in die untere Hälfte eines zweistöckigen Hauses, das einem Rentner-Ehepaar gehörte. Diesmal ohne Kakerlaken, denn die Vermieter stammten aus Deutschland.
    Aus der Küche gelangte man, wenn man wollte, durch den Hinterausgang in einen kleinen Garten mit Sitzbank, ein bisschen Rasen und Zierbüschen an den Grenzen zu den Nachbarn. Eine nächtliche Szene dort hat sich für immer in meiner Erinnerung eingeprägt, nur wenige Tage nach unserem Einzug, wenn man noch unruhig schläft, weil einem die Geräusche und Gerüche der neuen Umgebung noch zu unvertraut sind, um sich geborgen zu fühlen. Durch polternden Lärm über uns war ich aufgewacht und schaffte es nicht mehr, einzuschlafen. Ohne Licht zu machen, wanderte ich in die Küche, zum Kühlschrank, dem nächtlichen Fluchtpunkt und Mutterersatz.
    Da sah ich durch das Fenster meinen alten Vermieter im flatternden Nachtgewand als schwarze Silhouette gegen die Vollmondscheibe. Mit dem Spaten grub er ein Loch in den Rasen. »Jetzt hat er seine Frau umgebracht«, schoss es mir durch den Kopf und ich schaute auf die Uhr, da man, wie ich aus Krimis weiß, beim Verhör als Erstes nach der Tatzeit gefragt wird. In diesem Augenblick trat seine Frau ins Bild. Lebendig, aber wie im Schlafwandel die Arme nach vorn gestreckt. Auf ihren Händen trug sie den Deckel eines Schuhkartons. Darin lag eine tote Katze.
    Ich bekreuzigte mich — schließlich habe ich kirchlich geheiratet — und ging wieder zurück ins Bett.
    Die neue Wohnung lag zwar ebenfalls in Woodside, aber zu weit entfernt für den Fußmarsch zur Zeitung und zu abseits von den öffentlichen Verkehrsmitteln. Also kaufte ich das erste Auto meines Lebens, einen gebrauchten Opel Rekord. Gewiss nicht aus Vaterlandstreue — ich

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