Feuersteins Reisen
Katastrophenpotential in diesen Ölfeldern lauert. Ob das wohl der Grund war, warum man uns trotz ursprünglicher Zusage nicht auf die Offshore-Bohrinseln ließ? Weil sie uns jetzt gesehen hatten und mein Katastrophenpotential spürten? Denn von so was hatten sie ja wirklich selber genug.
Wenn man die Wohncontainer unserer Bauarbeiter betrachtet, wo sie in einer Art von Schubladen hausen müssen, gerät man in ehrfürchtiges Staunen, wie komfortabel es hier die Ölarbeiter haben. Von außen sieht das zwar alles grässlich aus — graue, riesige Zweckbauten von der Ästhetik alter Flugzeughallen in einer leeren, trostlosen Landschaft —, aber innen betreten wir die perfekte amerikanische Wohlstandswelt: ausschließlich Einzelzimmer (Putzen und Bettenmachen inklusive), dazu Kinosaal, Supermarkt und High-Tech-Fitnessstudio samt Pool, sowie eine kleine Grünanlage, isolierverglast und mit Kunstsonne in der Polarnacht. Die Kantine wäre beleidigt, wenn man sie Kantine nennen würde, denn hier sind Chefköche am Werk, mit mehreren, ständig wechselnden Menüs und einem 24-Stunden-Büffet von der Üppigkeit eines besseren Urlaubshotels, alles kostenlos, versteht sich. Ich weiß, das klingt jetzt wie ein Werbeprospekt zum Anlocken von Ölarbeitern, aber es ist die absolute Wahrheit. In ganz Alaska hatte ich nirgendwo so gut gegessen, obwohl Produzent Wolpers — das muss ja auch mal gesagt werden — absolut großzügig ist und sich immer bemüht, für uns nur die besten Restaurants zu finden. Schade, dass diese Bemühungen niemals erfolgreich waren.
Nur eins gibt es nicht in dem Öl-Wunderland: Alkohol. Hier herrscht Prohibition in strengster Form. Wer sich auch nur mit einer einzigen Flasche Bier erwischen lässt, wird gnadenlos gefeuert. Stephan, der Kameramann, der die Hölle als »Leben ohne Bier am Abend« definiert, litt unsäglich. Ich habe ihn die ganze Nacht röcheln gehört.
Und noch etwas gibt es nicht: Frauen. Das heißt, eigentlich gibt es sie schon, aber nur ganz wenige, in den Vorzimmern der Bosse: die klassischen amerikanischen Standardsekretärinnen, fleischgewordene Schaufensterpuppen, die man aber nicht anschauen darf, ohne sich eine Klage wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz einzufangen. Nach meiner wissenschaftlichen Definition also keine »Frauen« im biologischen Sinne, sondern der Pflanzenwelt zugehörig, zwischen Schierlingskraut und Venus-Fliegenfalle.
Ich persönlich, der ich mich immer schon dem Mönchischen hingezogen fühle — mein Pubertätstraum war ein Doppelleben als Einsiedler auf dem Berg Athos und Puffwirt in St. Pauli —, finde diese Frauenlosigkeit im Zustand intensiver Arbeit absolut reizvoll. Für Heteros ist sie eine Insel klösterlicher Einkehr auf der Suche nach dem Paradies, für Schwule das real existierende Paradies schlechthin, insgesamt also ein weiteres gelungenes Beispiel dafür, dass auch gegensätzliche Pfade zur Glückseligkeit führen können. Vorausgesetzt, es gibt keine Weiber, die stören.
Unter der Obhut eines angenehm lockeren PR-Onkels durfte ich meinen ersten Bohrturm besteigen, kein festes Gerüst, wie ich immer dachte, sondern ein riesiges, kompliziertes Fahrzeug, das nur ortsfest ist, solange gebohrt wird; wenn die Quelle einmal sprudelt, wird ein Ventil aufgesetzt, und zurück bleibt ein unscheinbarer Kasten mit Nummer, durch Rohre verbunden mit der Pumpstation; der Bohrturm selber rollt zum nächsten Einsatz weiter.
Das Öl liegt mindestens 2500 Meter tief, davon müssen die ersten 500 Meter durch solides Eis gebohrt werden, den Permafrost-Boden. Einen ganzen Monat dauert es, bis man unten angekommen ist, drei Kilometer und länger ist das Gestänge, denn vom Land aus muss man schräg bohren, da das Hauptlager unter dem Meeresboden liegt. Ganz schön aufregend also, wenn es endlich so weit ist und die Quelle erstmals sprudelt... und ich, Herbert Feuerstein, war dabei, mit den Schatten von Humboldt, Livingstone und Amundsen an meiner Seite.
Ich weiß, dass das kitschig klingt, und unbedeutend ist es noch dazu, so ein lächerliches Bohrloch von den vielen tausenden, die es auf der Welt gibt. Aber hier war ich dabei, bei den anderen nicht — da schlägt der Renaissance-Mensch immer voll durch, und mir wird feierlich und warm ums Herz. Hat ja auch was, wenn dieses schwarze, klebrige Zeug, um das die Welt kämpft und von dem unser Volkswohl abhängt, zischend, fauchend und siedend heiß aus der Hölle emporfährt, direkt in meinen hingehaltenen
Weitere Kostenlose Bücher