Feuersteins Reisen
dem täglichen Abendschwatz. Er empfing uns liebenswürdig, mit viel Charme und verschmitzter Weisheit, und ich fragte mich sofort, ob ich es hier wohl auch zum Dorfältesten gebracht hätte — wobei diese Übersetzung ziemlich fragwürdig ist, denn der Älteste war Naiva bestimmt nicht. Sein offizieller Titel lautet Yeremanu oder Bigman, was man früher mal mit »Häuptling« übersetzt hätte. Aber das klingt nach Kolonialzeit und Indianerspielen, so darf man heute höchstens noch CSU-Bosse am Alpenrand nennen. Gut tausend solcher Bigmen gibt es unter den 22 000 Einwohnern Tannas, daneben noch fünfzehn weitere Rangstufen, so dass so gut wie jeder im Dorf seinen Titel hat — geradezu österreichische Verhältnisse. Der Aufstieg in der Rangordnung ist verknüpft mit der ökonomischen Macht: Wer die meisten Schweine besitzt, hat auch das letzte Wort. Ansehen und Würde kriegt man dann gratis mit dazu. Das gilt natürlich nur für Männer. Frauen haben weder Amt noch Titel, sie gehören schließlich zum Besitz. Ein Kühlschrank kann ja auch nicht Hofrat werden.
Schweine sind als eine Art Naturalwährung die Wirtschaftsgrundlage auf den melanesischen Inseln, jedenfalls in den traditionellen Dorfgemeinschaften. Je mehr Schweine, desto größer das Ansehen — aber nur, wenn man auch bereit ist, diesen Besitz zu teilen: Großzügige Feste sind die unabdingbare Voraussetzung für den gesellschaftlichen Aufstieg, und nur jener hat Bigman-Kaliber, der mindestens sieben Schweine dafür schlachtet. Und zwar selber, höchstpersönlich, jedes einzelne mit einem einzigen Keulenschlag. Nach oben gibt es keine Grenzen — jede Zahl über 20 selbstgekeulte Schweine gilt als Großtat fürs Leben und wird zum Namenszusatz: »Der Mann der 30 Schweine« zum Beispiel. Ich fürchte, unter diesen Umständen wäre ich doch kein Bigman geworden, ich bremse sogar für Küchenschaben.
Bigman Naiva selber hat es bei seinem größten Fest auf sechzehn Schweine gebracht. Zur Zeit besaß er um die 50, die meisten aber unter drei Jahre alt und somit nicht sonderlich wertvoll. Sie durften deshalb alle frei herumlaufen bis auf den sechsjährigen Eber, der in einem Sonderverschlag verwöhnt vor sich hin grunzte, auf dem Weg zum Starruhm. Man hatte ihm, wie es die Tradition verlangt, die unteren Eckzähne ausgeschlagen, so dass die oberen Hauer ungehindert wachsen konnten — und zwar im Kreis nach innen, wie sie das ganz natürlich tun, wenn von unten kein Widerstand entgegenkommt. Sieben Jahre braucht ein Vollkreis, und ein solches Tier bringt dem Besitzer großen Ruhm, nicht nur im Schweineleben, sondern auch danach, denn der ringförmige Zahn wird fortan als besonders edler Schmuck vom Schlächter um den Hals getragen, als Beweis einer Großtat, nicht unähnlich einem Kriegerorden.
Da das Schwein mit einer solchen Verwachsung nicht mehr richtig fressen kann, wird es handgefüttert und kann auf diese Weise in seltenen Fällen einen zweiten Siebenjahres-Zyklus erleben, bei dem sich die Hauer zu einem spiralenförmigen Doppelring verwinden. In noch selteneren Fällen gelingt es sogar, nach 21 Schweinejahren eine Dreifachspirale zu erzeugen, aber das ist dann ein Jahrhundertereignis von nationaler Bedeutung, und der Schlächter und Träger wird zur Legende. Aber davon war Naivas Sechsjähriger Welten entfernt.
»Was für ein großes Schwein«, sagte ich voll höflicher Bewunderung.
»Nein«, lachte der Bigman und fügte die einzigen drei deutschen Worte hinzu, die er kannte, »du großes Schwein.«
Nun bin ich alles Mögliche, nur nicht groß, und deshalb doch ein bisschen erstaunt über seine Anrede. So gut kennt der mich doch gar nicht. Aber dann erfuhr ich, dass »großes Schwein« ein kulinarischer Begriff ist. Nämlich die Bezeichnung für »Mensch« auf der Kannibalen-Speisekarte. Essbarer Mensch.
Ich wurde nachdenklich und stellte mich vorsichtshalber hinter den mit Sicherheit nahrhafteren Erik.
Der große Unterschied
Zoten zu reißen und darüber zu grölen ist so ziemlich die einzige Möglichkeit für uns Hetero-Männer untereinander, Potenz und Interesse an sexueller Aktivität zu beweisen; es ist nicht üblich, sich in der Öffentlichkeit erigierte Glieder zu zeigen. In Vanuatu hingegen trägt man zu diesem Zweck den Namba. In den Ausführungen »klein« oder »groß«.
»Penis sheath« sagen die englischsprachigen Ethnologen dazu, also Penis-Scheide, was irgendwie widersprüchlich klingt, weshalb die Logik orientierten
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