Feuersteins Reisen
überall abgeschafft war.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in Australien und auf den Fidschi-Inseln riesige Zuckerrohrfelder, auf Samoa Kokosplantagen und auf Neu-Kaledonien Nickel-Minen, aber viel zu wenige Arbeitskräfte. Anwerberschiffe schwärmten daher zu den benachbarten Inseln aus mit Methoden, die nicht unbedingt gewerkschaftstauglich waren: Man legte Verträge vor, die keiner lesen konnte, hielt drei Finger hoch, und wer »Ja« sagte, wurde gleich mitgenommen — für drei Jahre in die Zwangsarbeit, meist ohne Lohn und oft ohne Rückkehr. Manche Werber ließen sich gar nicht erst auf Verhandlungen ein; mit ihren Musketen durchstreiften sie die Inseln und nahmen ganze Dörfer gefangen. Andere lockten die Menschen mit Geschenken an Bord, um sie dort sofort in Ketten zu legen.
Das führte natürlich zu Widerstand, aber auch zu Missverständnissen. Denn da die Insulaner alle Weißen für einen einzigen Stamm hielten, gab es für sie keinen Unterschied zwischen guten und bösen Europäern. Wenn gerade ein Schiff der Sklavenjäger gewütet hatte und anschließend friedliche Händler oder Missionare kamen, dann gab man den Letzteren die Schuld und verspeiste sie nach Landessitte — mit dem Ergebnis, dass kurz darauf ein Kanonenboot kam und die Dörfer zerschoss. Und so weiter, bis tief ins zwanzigste Jahrhundert hinein, mit furchtbaren Folgen: Von einer geschätzten Einwohnerzahl von einer Million um 1850 waren durch Verschleppung, Seuchen und Krieg im Jahre 1935 auf Vanuatu nicht mal mehr 50 000 übrig.
Malekula war dabei die Ausnahme. Denn hier war der Widerstand so erbittert, der Dschungel so undurchdringlich, dass die »Menschenfresser-Insel«, wie man sie nannte, von Europäern noch bis vor fünfzig Jahren nach Möglichkeit gemieden wurde. Vor allem das Bergland. Aber jetzt kamen wir.
Norsup hat immer noch ein eher französisches Gesicht: Bougainville-Sträucher und charmante Schlampigkeit statt sprödem Funktionalismus der Briten. Knapp tausend Einwohner, drei Kirchen, ein Postamt, ein Supermarkt, ein Gefängnis und ein Gästehaus mit acht Betten. Aber nicht dort wollten wir übernachten, sondern in einer vor kurzem eröffneten, kleinen Bungalow-Anlage auf einer der vielen vorgelagerten Inseln, unweit dem Dorf unserer Begierde. Es würde dort einen wunderschönen Sandstrand geben, hatte man uns gesagt, den man aber tunlichst nicht verlassen sollte, da es rundherum von Haien nur so wimmle. Jedes Jahr würde mindestens ein Schwimmer gefressen werden.
Dank der wunderbar durchdachten Planung von Wolpers kamen wir an der Stelle, von wo wir auf die Insel übersetzen sollten, erst nach Anbruch der Dunkelheit an. Das ist ganz schön ärgerlich bei dem vielen Gepäck, das man als Kamerateam nun mal mit sich schleppt, wie leicht geht da was verloren. Aber zum Glück haben Motorboote Generatoren und damit Batterien und Scheinwerfer.
Am Ufer dümpelten keine Motorboote, sondern Einbäume. Gottverdammte Einbäume, enge Zweimann-Särge, in denen man halb steht, halb hockt, mit einem lächerlichen Paddel als Antriebsmittel.
Nun rechne ich natürlich auf jeder Reise mit mindestens einem Mordanschlag von Wolpers, war aber trotzdem überrascht, weil doch erst vor drei Tagen einer stattgefunden hatte: Auf der Insel Tanna, als wir auf den Yasur-Vulkan geklettert waren und ich nach einem mit viel Angstschweiß am Kraterrand abgelieferten Aufsager feststellen musste, dass neben mir ein riesiger, noch ziemlich heißer Lavabrocken lag. Wolpers hatte mich also tatsächlich an einer Stelle postiert, wo es glühende Lava regnet, in der Hoffnung, dass die Kamera läuft, wenn ich erschlagen werde. Und jetzt beabsichtigte er, mich Haien zum Fräße vorzuwerfen. Ich hatte ihn unterschätzt.
Auch Stephan war in tiefster Sorge um seine Ausrüstung. Umständlich wurde hin und her gepackt, das meiste musste im Auto bleiben. Jeder durfte nur ein Gepäckstück mitnehmen, das man noch dazu auf dem Schoß halten musste, denn unten im Boot stand das Bilgenwasser und oben würde alles Lose bei der zu erwartenden Schaukelei über Bord fallen. Also kam das Wichtigste in eine Kiste, die Erik zugeteilt wurde, Stephan band sich die Kamera an den Leib, wie immer bereit, mit ihr in den Tod zu gehen, und Wolpers und Ralph waren für das Handgepäck zuständig —wobei ich ausnahmsweise darauf bestand, meine Tasche selber zu tragen, da ich dringend was brauchte, an dem ich mich festhalten konnte.
Inzwischen war es noch dunkler
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