Feuersteins Reisen
kaum oder gar nicht verständlich waren. Nicht selten brauchte Ralph Regenvanu zwei oder drei Unterdolmetscher, die wie bei der stillen Post meine Fragen in einer Kette Weitergaben und die Antworten rückübersetzten — ein simples »Nein« ließ da schon mal zehn Minuten auf sich warten. Und verneint wurde ständig, denn jede Insel hat ihre eigenen strengen Tabus, vor allem, was die Wege betrifft. Das Betreten bestimmter Dschungelpfade kann bösen Unfrieden bis hin zum Krieg erzeugen, vieles darf man nicht berühren, manches nicht mal anschauen, und der tägliche Umgang miteinander ist mit mehr Regeln belastet als eine Papstkrönung.
Als erste richtige Expedition außerhalb der Hauptstadtinsel Efete hatte Ralph eine Reise zum Dorf der Yaohnanen auf der Insel Tanna empfohlen, und es war eine gute Wahl. Denn Tanna ist mit dem Postflugzeug fast täglich erreichbar, hat ein Hotel und einigermaßen passable Straßen, so dass man mit dem Geländewagen bis in die unmittelbare Nähe des Dorfes gelangt — wobei der Begriff »Nähe« in dieser Gegend etwas anders ausgelegt wird als bei uns: Ein Tagesmarsch gilt als »nah«, ein halber als »ziemlich nah«, und wenn von »unmittelbarer Nähe« die Rede ist, ist man meistens schon nach zwei lächerlichen Stunden über Saumpfade, Sümpfe und Dornengestrüpp am Ziel.
Wolpers hatte mich dafür in ein von ihm erfundenes Südsee-Outfit gezwungen, das ich auch in Efete schon ein paarmal getragen hatte: Riesenstrohhut, ausgelatschte Stoffschuhe, Leinen-Shorts und weißes Hemd, das Letztere ewig ungewaschen, denn zum Waschen gab es entweder keine Zeit oder kein Wasser. Und so sollte es auch für den Rest der Drehzeit bleiben, denn aus »Anschlussgründen« musste ich in der freien Natur immer dieselben Klamotten tragen — wir wussten ja noch nicht, wie die Szenen im Schnitt miteinander verschachtelt würden. Das Hemd wurde davon nicht unbedingt appetitlicher, es versteifte sich von Tag zu Tag und ließ sich nicht mehr aufhängen, nur noch abstellen. Und als ich es bei der Abreise als Souvenir in den Koffer packen wollte, zerbrach es in tausend Stücke.
Flüge zwischen Tropeninseln in einer alten Propellermaschine bringen mein kleines Fliegerherz immer wieder zum Glühen. Das Spiel der Wolken, die Farben des Wassers, das üppige Dach des Regenwalds, dann wieder Vulkanfelder und Steilküsten, alles tausendmal beschrieben, trotzdem immer wieder einmalig. Ich träume dann jedesmal von den vielen anderen Leben, die ich hätte führen können, als Wanderprediger oder Gerichtsmediziner, als Hotelportier oder Kurienkardinal, als Zoowärter im Insektarium, als Notenwart bei den Wiener Philharmonikern oder jetzt, als der kleine Prinz im Postflugzeug.
Eine wunderbare Holperlandung in einer grünen Mulde, so buckelig, dass man von einem Ende der Startbahn das andere nicht sah — was für ein Glück, dass es auf der Insel pro Tag nur dieses eine Flugzeug gab und kein zweites, das sich für die entgegengesetzte Landerichtung hätte entscheiden können. Ebenso wunderbar würde am nächsten Tag auch unser Abflug sein, denn wir waren ein bisschen zu spät gekommen und sahen, wie das Flugzeug schon zum Startpunkt rollte. Da fuhren wir ganz einfach quer über den Platz hinterdrein, hupten und winkten — und tatsächlich: Der Pilot kehrte um und rollte zur Abfertigungshütte zurück. Das versuche mal jemand mit der Lufthansa!
Im Laufe der zweistündigen Autofahrt war die Asphaltstraße in Geröllpisten übergegangen, es ging ein paarmal steil rauf und wieder runter, dann ein verschlammter Pfad durch das üppige Dickicht des Regenwaldes, und zuletzt unser klassischer Gänsemarsch: allen voran Ralph Regenvanu mit unseren Geschenken in zwei Plastiktüten, gefolgt von Stephan mit der Kamera, Wolpers mit dem Stativ, der drahtige Erik mit dem tonnenschweren Rest der Ausrüstung, und schließlich, nach längerem Abstand, Feuerstein mit einem Notizblock. Letzteres war ein wenig ungewöhnlich, denn normalerweise beschwere ich mich mit keinerlei Lasten, da ich ja frisch und ausgeruht am Drehort ankommen muss. Aber bei so anstrengenden Dschungelmärschen konnte und wollte ich meinen Beitrag nicht verweigern.
Da wir angekündigt waren und ohne Frauen kamen — für Frauen ist der größere Teil jeden Dorfes verboten —, konnte auf das umständliche Begrüßungs- und Tabu-Ritual verzichtet werden. Jack Naiva, der Dorfälteste, erwartete uns unter dem großen Baum, wo sich die Männer zum Nakamal treffen,
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