Feuersteins Reisen
ausgeschlagen, die großzügigen Sitze der Engländer und Amerikaner, und stattdessen die langen Schlangen vor abgestürzten Computern und überforderten Lufthänseln und — greteln ertragen, die qualvolle Enge und die tuntigen Ansagen im Flugzeug sowie die ultimative Demütigung in der innerdeutschen Businessklasse, wo man für den doppelten Preis gerade mal ein Erfrischungstuch kriegt — alles nur, um diese kostbaren Meilensteine zu sammeln, damit ich von der Wolpers-Klasse in die First aufrücken konnte, ohne den ohnehin schon so großzügigen Gebührenzahler auch nur mit einem einzigen Pfennig zu belasten. So, jetzt weißt du’s, >taz<, und jetzt solltest du dich schämen.
Bleibt die letzte Frage, warum wir dann in getrennten Maschinen fliegen. Jetzt, da alles geklärt ist, wäre das doch ganz einfach: Ich sitze oben vorne, das Team unten hinten, und aus.
So einfach ist das aber nicht. Denn das verträgt sich nicht mit meinem sozialen Gewissen. Ich kann doch nicht in meinem Luxusbett entspannt die Glieder strecken, wenn ich weiß, dass im Zwischendeck meine Kumpel darben. Einmal haben wir das gemacht, und es hat mir die ganze Reise versaut, vor allem als mich Wolpers am frühen Morgen besuchte: wachsbleich, strähniges Haar, schweißgeflecktes Hemd, umgeben von einer Wolke aus Bier und Flugbenzin
— da bleibt einem doch glatt der Kaviar im Hals stecken. Nur mühsam konnte ich afrikanische Mitpassagiere von einer Kleiderspende abhalten, und mein Nebenmann, der Kardinal, suchte erschrocken in seinem Brevier das Kapitel »Teufelsaustreibung«.
Nein, so was will ich mir niemals wieder antun. Seither fliege ich voraus oder hinterher. Denn wie alle anderen Menschen ertrage auch ich Klassenunterschiede, Armut und Not nur durch Wegschauen.
Das große Schwein
Ralph Regenvanu war unser Führer und Aufnahmeleiter vor Ort. Freundlich, hilfsbereit, zurückhaltend, gelassen und schweigsam, dazu auch noch bescheiden und gutmütig
— also das genaue Gegenteil von Wolpers. Ganz zufällig und erst nach ein paar Tagen erfuhr ich, dass er in Australien studiert hatte und im Hauptberuf Professor für Anthropologie an der Staatsuniversität von Vanuatu war. Da erst verstand ich sein leises, ironisches Dauerlächeln, mit dem er uns bei der Arbeit zusah — es ist die einzige Waffe von Akademikern der Dritten Welt im Umgang mit weißen, zahlenden Göttern.
Ich mochte ihn schon lange im Voraus, eigentlich schon in Deutschland, als ich zum ersten Mal seinen Namen gelesen hatte. Denn »Regenvanu« klingt nicht nur wunderbar tropisch nach Regenwald, der beherrschenden Vegetation dieser Inseln, sondern hat auch gleich noch den halben Landesnamen von Vanuatu mit drin. Das verspricht Kompetenz, weckt Erwartungen und wirkt überzeugend einheimisch. Und als ich ihn dann persönlich kennen lernte, mochte ich ihn immer noch — was mir sonst recht selten passiert. Meistens ist es umgekehrt: Ich erwarte Giganten und treffe auf Dorftrottel, vor allem, wenn Wolpers sie angeschleppt hat. Wahrscheinlich macht er das, um selber besser dazustehen, deshalb verzeihe ich ihm. (Ich habe das eben noch mal gelesen: Ich verzeihe ihm doch nicht. Weil aber die Gefahr besteht, dass ich ihm beim nächsten Durchlesen wieder verleihe, habe ich diese Stelle markiert und werde sie nie mehr lesen. Sonst geht das ewig hin und her.)
Freiwillig rückte Ralph Regenvanu allerdings nichts heraus, nicht die kleinste Information, nicht mal den Wetterbericht. Man musste alles erfragen. Aber was man ihn fragte, beantwortete er offen und direkt, ohne Zimperlichkeit und ohne Empörung, wie das sonst immer wieder passiert, wenn überempfindliche Einheimische die Neugier des Chronisten als Bloßstellung oder kulturelle Kampfansage missverstehen. Trotzdem brauchte ich einige Tage, bis ich es wagte, das heikelste Thema Vanuatus anzusprechen: den Kannibalismus.
»Ja«, sagte Ralph Regenvanu und lächelte wie immer, diesmal aber ohne Ironie, »wir waren Menschenfresser.« Als ich ihn ansah, bemerkte ich die Verwandlung: Vor mir stand nicht mehr mein Aufnahmeleiter, sondern mein Koch.
Zum Rüstzeug unserer kulturellen Überlegenheit gehört die Überzeugung, dass Kannibalismus was ganz, ganz Schlimmes ist. Du sollst deinen Nächsten nicht fressen. Töten schon, das ist was ganz anderes, das muss manchmal sein, von Staats wegen, oder wenn einer bei Rot über die Straße läuft. Oder im Krieg. Da passiert es schon mal, dass man den Feind schlachtet, metzelt und ausrottet,
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