Feuersteins Reisen
Plastik-Kostümen riecht, sowie Pauschaltouristen, die beim Schlusstanz mithopsen dürfen. Ich feuerte Wolpers auf der Stelle — zum fünften Mal auf dieser Reise —, doch Ralph Regenvanu beruhigte mich: Es ist ein echtes Dorf mit echten Bewohnern im echten Regenwald-Dschungel. Einziger Schönheitsfehler: Einige der jüngeren Kleinen Nambas arbeiten zeitweilig in der Stadt, tragen dort Jeans und werden deshalb von den Ethnologen nicht mehr als authentisch anerkannt.
Ach, wissen Sie, die Ethnologen. Die haben ja immer schon Anthropologie mit Tierschutz verwechselt. Am liebsten würden sie die unerforschten »Primitiven« in Käfigen halten. Zwar mag es unerfreulich sein, wenn die jungen Menschen von den alten Sitten zur modernen Lebensart überlaufen, aber das ist nun mal der Lauf der Dinge. Zu den Menschenrechten gehören nicht nur Freiheit, Würde und Bildung, sondern auch Cola, Fritten und MTV, was immer man davon halten mag. Der freie Wille darf sich auch für den persönlichen Untergang entscheiden, zur Steinzeit kann niemand gezwungen werden.
Während man in den anderen Dörfern im Inneren Vanuatus meist nur alte Leute und Kleinkinder findet, gäbe es in diesem Custom Village auch jüngere, versprach uns Ralph, die die alte Lebensweise wenigstens zeitweilig pflegen wollen und nichts dagegen haben, andere daran teilnehmen zu lassen — vorausgesetzt, man hält sich an die Regeln... kennt man ja so ähnlich aus Oberammergau.
Also machten wir uns auf den Weg ins Custom Village, zu einem großen Fest. Nur für uns.
Im Unterschied zu Tanna hat der Flughafen von Norsup eine richtige Asphaltbahn, ein Relikt des Zweiten Weltkriegs, als die damaligen Neuen Hebriden einen wichtigen Versorgungsstützpunkt der Amerikaner im Pazifikkrieg gegen Japan bildeten. Die Gegend rundherum ist flach, wie es sich für einen Flughafen gehört, mit üppigen, ausgedehnten Kokosplantagen. Nichts deutet auf die mörderische Gefährlichkeit hin, die der Insel nachgesagt wird, angeblich auch heute noch.
In der Vergangenheit jedenfalls war Malekula zu jeder Zeit grausam, innen wie auch außen. Innen durch die Clan-Dörfer, die mit geradezu bayrischer Hartnäckigkeit ständig Kriege gegeneinander führten; und außen durch die Kanonenboote der Kolonialherren. Dabei hatte Vanuatu lange Zeit Glück gehabt: Zwar hatten die Spanier von Peru aus schon im Jahre 1606 die Nachbarinsel Santo erreicht und diese im Glauben, den lange gesuchten Südkontinent entdeckt zu haben, »Tierra Australia« genannt, zu Ehren ihres Königs, der vorher Erzherzog von Österreich/Austria war; als sie aber ihren Irrtum erkannten, reisten sie nach 50 Tagen wieder ab, und die Inselgruppe verschwand von den europäischen Landkarten, mehr als 150 Jahre lang.
Erst 1766 kam das nächste Schiff, diesmal die Franzosen unter dem Weltenbummler Louis Antoine de Bougainville, dessen Name sofort das Bild des blütenreichen Kletterstrauchs wachruft, der jedes anständige Kolonialhaus von der Karibik bis zur Südsee umrankt. Nur wenige Jahre später folgte Captain Cook, der britische Ordnung schuf und der Inselgruppe den für die nächsten 200 Jahre gültigen Namen »Neue Hebriden« verordnete. Auch den einzelnen Inseln gab er ihre heutigen Namen — mit Ausnahme von Malekula; dieser Name stammt angeblich von französischen Matrosen, denen boshafte Eingeborene Nessel-Blätter als Klopapier-Ersatz reichten und die danach im Quadrat sprangen und »Mal a cul!« brüllten, »mein Hintern tut weh«.
Nicht um den Hintern zu wischen, sondern um seinen Arsch zu retten, kam 1792 ein anderer legendärer Seefahrer an Land: Der berüchtigte William Bligh, der Bösewicht-Ka-pitän der »Bounty«. Auf seiner Flucht im Einboot nach der von Hollywood geadelten Meuterei in den Tonga-Gewässern legte er hier auf dem Weg nach Timor eine Rast- und Proviantpause ein.
Nun waren die Neuen Hebriden zwar wieder auf den Landkarten zu finden, aber bedeutungsvoller wurden sie dadurch nicht. Für die Kolonialisten gab es hier nur zwei Waren von Interesse: Sandelholz und Sklavenarbeiter. Das Erstere fand man in Massen — für ein Messer oder ein Gewehr konnte man eine ganze Bootsladung des kostbaren aromatischen Holzes erwerben — kein Wunder, dass es nach wenigen Jahrzehnten restlos ausgerottet war; heute findet sich kein einziger Strauch mehr davon. Und als dann von den Wäldern der Inseln nichts mehr zu holen war, holte man seine Menschen — zu einer Zeit, als anderswo die Sklaverei schon fast
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