Feuersteins Reisen
abgeben würde!
Obwohl wieder eine Übersetzerkette nötig war, kam die Rede tierisch an: Bei jedem Satz gab es Beifall und begeisterte Zustimmung der gesamten Bevölkerung. Erst viel später erfuhr ich, dass Ralph meine Herzensbotschaft komplett ignoriert hatte und stattdessen nur die Geschenke aufzählen ließ, die wir mitgebracht hatten. Aber so läuft’s ja auch bei Staatsbesuchen: Man pinselt sich den Bauch, aber was wirklich zählt, ist die Wirtschaftshilfe.
Der Dorfplatz, auf dem wir empfangen wurden, sowie die umliegenden Felder sind die einzigen Stätten gemeinsamer Begegnung; für den Rest herrscht strengste Geschlechtertrennung. Hohe Palisadenzäune schützen den Tabubereich der Männer, gut versteckt und natürlich unzugänglich für uns, die Hütte der Frauen und Kinder. Dazwischen, daneben und dahinter markierte Tabuzonen von verschiedener Bedeutung: Wo man hingehen darf, wo man wegbleiben muss, wo man manchmal hingehen darf und wo man nicht mal hinschauen soll... der Besucher hat höflich abzuwarten, wohin er geführt wird; von selber tut man am besten keinen Schritt, denn überall lauern die Geister...
Etwa fünfzig Bewohner zählte das Dorf, davon zwanzig Männer aller Altersstufen, ebenso viele Kleinkinder und der Rest Frauen, alle schon reifer, keine jünger als 40, und das hat seinen guten Grund. Denn das traditionelle Leben ist für Frauen gelinde gesagt erbärmlich: rechtlos im Besitz des Mannes, sobald der Brautpreis gezahlt wurde, und heimatlos noch dazu, denn die Tabu-Ordnung verlangt eine komplette Trennung von der alten Familie — Eltern, Brüdern und Schwestern ist der Besuch des Dorfes strikt verboten. Trennung bedeutete früher Krieg; der einzige als legitim akzeptierte Ausweg — angeblich auch heute noch auf der Südinsel Erromango üblich — war der Selbstmord der Frau. Während die Männer den größten Teil ihrer Zeit beim Schwatz im Makanal verbringen, um das nächste Fest vorzubereiten, sind die Frauen für den Rest des Lebens zuständig, für die Feldarbeit, für Kinder, Tiere und Essen. Die Männer werden natürlich bekocht, speisen aber getrennt; nur was sie übrig lassen, geht an Frauen und Kinder zurück. Getrennt wird auch geschlafen: die Männer in eigenen Hütten, die Frauen in einer Gemeinschaftsunterkunft zusammen mit den Kindern und den Schweinen. Wenn es regnet, kommen auch die Hunde dazu.
Kein Wunder, dass die Mädchen die Dörfer verlassen, sobald sie nur können, oft schon im ersten Schulalter. Während mehr und mehr jüngere Männer freiwillig zur Traditionsgemeinschaft zurückkehren, und sei es auch nur zeitweilig, bleiben die Frauen endgültig fern; nur ihre Kleinkinder parken sie bei der Oma auf dem Land, bis sie schulreif sind. Um die Zukunft der Kleinen Nambas ist es daher düster bestellt, es sei denn, sie entwickeln sich zum reinen Männerverein: Skatbrüder unter sich oder sportlich schwul nach antikem Vorbild — läuft ja bei uns so ähnlich, seit die Frauen stärker geworden sind.
Auf dem Dorfplatz war das Festmahl angerichtet: »Lap-Lap«, das Oberlandesgericht Vanuatus, Geschmortes im Erdofen. Dabei werden Fleischstücke oder ein ganzes Hähnchen gewürzt, in Bananenblätter gewickelt und ohne Topf in einer Erdgrube mit glühheißen Lavasteinen zugedeckt, darüber Grassoden wie bei einem Kohlenmeiler. Nach ein paar Stunden ist es dann so weit. Dazu reicht man Maniokwurzeln, den großblättrigen Spinat dieser Gegend oder was sonst an Gemüse zu haben ist. Nun wäre ein ganzes Hähnchen ein bisschen wenig für ein ganzes Dorf samt Kamerateam, weshalb man sich zu unseren Ehren für ein ganzes Schwein entschieden hatte. Seit 24 Stunden schmorte es unterirdisch in einem wahren Höllenfeuer vor sich hin, aus Erdspalten drang Rauch wie vor einem Vulkanausbruch. Es roch so köstlich, dass Wolpers bereits zu würgen begann.
Ich gebe zu: Essen, mit dem Spaten aus der Erde gegraben, sieht nicht unbedingt appetitlich aus, ist aber hygienisch einwandfrei — ein Ganztags-Feuer ist der sichere Tod auch für die widerstandsfähigste Bakterie. Außerdem gab es sowieso kein Zurück: Jedes Zögern oder gar eine Ablehnung wäre eine schlimme Beleidigung für den Gastgeber gewesen, das kennen wir ja auch zu Hause vom Besuch bei Onkel und Tante.
Zum Glück bin ich, was das Essen anbelangt, kein bisschen zimperlich — im Gegenteil: Mir schmeckt so gut wie alles. Als Magen habe ich keine Gourmet-Vitrine, sondern einen schlichten Überlebenssack — da kann ich so
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