Feuersteins Reisen
das Material gar an RTL 2 verkaufen könnte, kommt das erst recht nicht in Frage. Also hielt ich eine sachliche, ruhige Ansprache an das Team, mit der Bitte, ausnahmsweise mal vernünftig zu bleiben. Denn für unseren Film wäre so eine Szene nur peinlich; sie würde wie die Verhöhnung einer respektablen Kultur wirken, wenn beim magischen Geistertanz der Nambas ein lächerlicher weißer Gnom durch die Gegend hopst.
»Wir würden so was niemals filmen!«, heuchelte Stephan mit bereits angesetzter Kamera, deren Rotlicht schon strahlte wie eine Laterne im Puff. »Stimmt, so was würden wir niemals tun!«, schwor Wolpers, der aus der Gerätekiste die digitale Zweitkamera rausgekramt hatte und ebenfalls auf Teufelkommraus drehte. Und selbst der schweigsame Erik quälte sich ein verlogenes Geräusch ab, das so ähnlich wie »Niemals!« klang.
Ralph war auch keine Hilfe, sondern betonte immer nur, dass ich diese Ehre auf gar keinen Fall verweigern dürfe. Als ich ihm sagte, ich würde eher sterben, als meinen Pimmel vor den Augen der Öffentlichkeit in einen Palmwedel zu verwandeln, versuchte er mich mit dem idiotischen Argument zu beruhigen, dass das ja gar nicht meine Aufgabe sei — das würden vielmehr die jungen Nambas mit mir machen, die beiden Kleineren hinter mir, ganz diskret, in der Tabu-Hütte der Männer.
Das hätte mir gerade noch gefehlt, Doktorspiele mit zwei Knaben! So leicht lasse ich mich nicht einwickeln. Wie leicht könnte das ein böses Ende nehmen! Wo doch so was Ähnliches erst kürzlich einem amerikanischen Ethnologen zum Verhängnis wurde, zwar nicht hier in Vanuatu, aber im gar nicht so weit entfernten Papua-Neuguinea. Als rastloser Forschergeist hatte er sich auf kühne Namba-Selbstversuche eingelassen und in seinem Tagebuch genau aufgeschrieben, was die Knaben so alles mit ihm trieben, und dazu auch noch, wie viel Spaß ihm das gemacht hatte. Prompt wurde nach seiner Rückkehr das Tagebuch gefunden — und jetzt sitzt er als Kinderschänder im Gefängnis. Und so was soll ich riskieren? Nur weil Wolpers »Ausziehen« grölt? Schon mit der Kamera in der Hand?
Unsere heftige Diskussion hatte inzwischen die Aufmerksamkeit der Nambas erregt, die ihrerseits zu diskutieren begannen. Laut und in mehreren Sprachen redeten jetzt alle durcheinander wie auf einem Kirchenkonzil, wenn es um die Heilslehre geht. Da hatte ich endlich den entscheidenden, rettenden Einfall. In zwei Teilen: Einfall A und Einfall B.
»Ja, ich tanze nackt«, verkündete ich Einfall A, und die Wucht meiner Worte bedurfte keiner Übersetzung — die Männer verstanden. Atemlose Sülle setzte ein.
»Ja, Freunde, ich tanze nackt«, wiederholte ich, weil man solche Sätze ja nur ganz selten im Leben sagen kann, »aber des Namba-Kostüms bin ich nicht würdig, denn ich wurde nie in eure Männergemeinschaft aufgenommen.«
Damit spielte ich auf die langen, komplizierten Initiazionsriten der Nambas an — einen Monat lang müssen die zehnjährigen Knirpse ungeschützt im Buschwald verbringen, dabei werden sie von allen getriezt und gequält; wer das nicht aushält, darf später nicht heiraten... also genau umgekehrt wie bei uns, wo man erst heiratet und dann getriezt und gequält wird, und zwar jahrelang.
Mein Argument wurde nach kurzer Beratung akzeptiert: So soll es sein, entschied der Bigman; Feuerstein tanzt mit, ohne Kleider natürlich, aber auch ohne Palmenblatt. In der Kinderabteilung, gewissermaßen. Kenne ich vom Klamottenkauf.
Stephan setzte sofort die Kamera an und Wolpers hatte bereits ein neues »Ausziehen!« auf seinen boshaften Lippen, als ich mit Einfall B ihre schmutzigen Hoffnungen brutal vernichtete: Der Tanzplatz gehört allein den Nambas, erklärte ich; wer hier verweilen wolle, müsse sich ebenfalls ausziehen. Denn ich wusste genau: Dazu waren diese Feiglinge niemals bereit.
Genau so sah es auch der Bigman: Wer seinen Namba nicht zeigt, ist vielleicht eine verkleidete Frau oder ein böser Geist. Oder beides. (Wolpers?) Auf alle Fälle hat er hier nichts zu suchen. Also raus mit den Spinnern aus der Tabuzone!
So wurde ich zum Kleinen Namba. Wie klein, ist immer noch mein großes Geheimnis, denn filmen durften sie nur hinter dem Palisadenzaun. Und da sieht man meinen Kopfschmuck baumeln. Sonst nichts.
Blong
»Blong« ist die Kurzform von belong, »gehören«, und zugleich das wichtigste Wort in Bislama, der Nationalsprache Vanuatus.
Ein winziges Land mit vielen Sprachen ist immer ein Problem, das zeigt ja
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