Feuersteins Reisen
Azteken dazu verleitete? Der blutgetränkte Boden ihrer Menschenopfer? Bin ich vielleicht die Wiedergeburt eines Hohepriesters, der zuckende Herzen aus den Leibern riss?
Unter diesem Aspekt hat Wolpers echt Glück, dass er in der heutigen Zeit lebt.
Wie Stephan die Passhöhe nahm
Wie wunderbar ist doch die Welt in ihrer bunten Vielfalt von Drehgenehmigungen.
Am Anfang stand die grenzenlose Freiheit Alaskas, wo das Wort »Drehgenehmigung« beinahe eine Beleidigung darstellt, da man in Alaska alles darf, außer natürlich, man berührt private Interessen. Weil aber das Land zur Gänze aus privaten Interessen besteht, berührt man diese ständig und darf deshalb ohne Drehgenehmigung nichts. Dann folgten die Südseeinseln von Vanuatu, wo allein schon jeder Blick einen Tabubruch darstellt, mit der zusätzlichen Schwierigkeit, dass Drehgenehmigungen hier nicht mit Behörden ausgehandelt werden müssen, sondern mit Geistern und Ahnen. Schließlich Oman und die Emirate, mit Sultan und Scheich als alleinige Richtschnur, was wert und würdig ist, gefilmt zu werden. Und nunmehr Mexiko, die Mutter der Drehgenehmigung. Ich bin sicher, hier wurde sie erfunden.
Unsere Aufnahmeleiterin vor Ort war Señora Constanza Viala, eine kleine, rundliche Vierzigerin, die mit einem Deutschen verheiratet war und deshalb — oder trotzdem — ausgezeichnet Deutsch sprach. Sie war für die Drehgenehmigungen zuständig und hatte meistens die falschen, was aber nicht im geringsten ihre Schuld war. Denn in Mexiko besteht zwischen Vorschriften und Behörden ein hartnäckiger Wettstreit, wer von den beiden ein unschuldiges Kamerateam wie wir stärker an der Arbeit behindern könnte.
Zwar ist das Amt für Tourismus ehrlich interessiert, Mexiko für alle Welt sichtbar und zugänglich zu machen, aber allen anderen Behörden ist das egal. Die wollen daran verdienen, sonst nichts, und erheben deshalb Tribut für jede Kirchenfassade, jede historische Stätte und möglichst sogar jeden Trümmerhaufen nach einem Erdbeben. Am besten, der Kameramann trägt Scheuklappen bei einem genehmigten Dreh, denn der kleinste Schwenk zur Seite oder gar ein Blick nach hinten — und schon ist für die neue Perspektive eine neue Behörde samt neuer Drehgenehmigung zuständig. Ein beachtliches Aufgebot an Wächtern in den verschiedensten Uniformen sorgt dafür, dass diese Vorschriften nicht Theorie bleiben.
Noch mehr Vorschriften gibt es für Aufnahmen aus der Luft, aber im Hubschrauber hat man wenigstens eine solide mathematische Chance von 50 Prozent: Entweder, man kriegt einen Piloten, der sich daran hält, oder man kriegt einen, der sich NICHT daran hält. Stephan hatte Glück: Er flog mit einem Nicht-daran-Halter. Einem von der ganz harten Sorte.
Man hatte uns vor der Hauptstadt gewarnt: Ciudad de Mexico — als Purist weigere ich mich strikt, »Mexiko City« zu sagen, weil ich nicht einsehe, warum die Hauptstadt eines spanischsprachigen Landes einen englischen Namen haben soll; dann lieber »Mexiko Stadt« — ist ein Moloch von 15 bis 20 Millionen Menschen, dessen dreieinhalb Millionen Autos und 30 000 Fabriken in Zusammenarbeit mit den Vulkan-Zwillingen Popocatepetl und Iztaccihuatl eine hochgiftige Dunstglocke produzieren; nicht nur würden wir niemals mehr als zehn Meter weit sehen, sondern zusätzlich auch noch ständiges Schädelpochen verspüren, wegen der Hochlage von beinahe 2300 Metern über dem Meeresspiegel... sofern wir nicht ohnehin schon am ersten Tag an dem Smog elend ersticken würden. Denn angeblich ist er hier so schlimm, dass an strategischen Ecken der Stadt Telefonzellen-ähnliche Sauerstofftanks zur Wiederbelebung bereitstünden.
Wahrscheinlich war es meine geniale Wahl der Drehzeit — sie ist der einzige Punkt, bei dem ich mich in die Reiseplanung einmische (ich benutze dazu eine uralte Tabelle der Lufthansa aus dem Jahre 1977 mit Klimainformationen über sämtliche wichtigen Städte der Welt, und sie hat mich bisher noch nie im Stich gelassen). Aber vielleicht hatten wir einfach nur Glück. Jedenfalls blieb während unserer ganzen Besuchszeit die Luft in Mexiko-Stadt glasklar und die Aspirin-Großpackung ungeöffnet. Und Sauerstoffzellen habe ich keine einzige gesehen.
Auf der Suche nach idealen Schnittbildern im richtigen Licht war Stephan schon bei Sonnenaufgang losgeflogen. Hauptsächlich ging es uns um El Angelito, die Engelsstatue zu Ehren der Revolution auf der Prachtstraße Paseo de la Reforma, die mitten durch die Hauptstadt
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