Feuersteins Reisen
führt.
Nun ist es zwar streng verboten, die Innenstadt zu überfliegen, doch vom UNTER-Fliegen steht offenbar nichts in den Vorschriften. Und genau das tat Stephans Pilot. Aus meinem Hotelfenster im zehnten Stock, angelockt vom Höllenlärm der Rotoren, habe ich es selber gesehen: Die linke Tür war ausgebaut, Stephan saß festgezurrt, mit baumelnden Beinen, an der Kante, und mehrmals kreisten sie im steilen Neigewinkel um die Engelssäule, dass der Taubenkot nur so spritzte. Dann flogen sie am Hotel vorbei. Tief unter mir. So etwa in Höhe des dritten Stocks.
Ich hängte das »Nicht stören«-Schild an meine Tür und versteckte mich unter der Decke. Ich war sicher, dass jeden Augenblick jemand kommen und nach der Drehgenehmigung fragen würde. Es kam aber nur der Zimmerkellner, der auf Anweisung von Wolpers jede Stunde kontrollierte, ob die Minibar gefüllt und zugänglich war.
Während ich bisher immer der Meinung war, arabische Autofahrer seien die verwegensten Kerle der Welt, weiß ich jetzt, dass es noch eine Steigerung gibt: die mexikanischen Hubschrauberpiloten. Stephans Flug in den Schluchten der Hauptstadt war nicht der einzige Beweis dafür. Wenige Tage später, im Hochland der Sierra Madre, sollte es noch viel dicker kommen.
Wir waren auf einer der spektakulärsten Eisenbahnstrecken unterwegs, von Los Mochis am kalifornischen Golf 6 5 o Kilometer hinauf ins Hochland von Chihuahua, schon fast an der US-amerikanischen Grenze. Zwölf Stunden dauert die Fahrt quer durch die Barranca del Cobre, der »Kupfer-Canon«, eine der wohl dramatischsten Schluchtenlandschaften der Welt — durch 86 Tunnels, über 37 Brücken und zuletzt eine Passhöhe von 2500 Metern.
In den hinteren Waggons sitzen die Touristen, meist Amerikaner im Rentenalter, vorne die wenigen Einheimischen, die nicht lieber mit dem Bus fahren, mit dem es doppelt so schnell geht und zudem auch noch billiger ist. Direkt hinter der Lok hängt oft noch ein Sonderwagen, in dem schläfrige Polizisten mit Maschinenpistolen quer über den Knien ein paar fest verschnürte Bündel bewachen: Drogenkuriere, die man unterwegs in den verschiedenen Ortschaften zusammengefangen hat, denn diese Strecke ist gleichzeitig eine der aktivsten Rauschgift-Routen der Welt. Es sind aber immer nur armselige kleine Dealer der untersten Kategorie — ihre Bosse sitzen wahrscheinlich mit den Geldkoffern hinten, in der ersten Klasse bei uns Touristen.
Die erste Hälfte der Strecke würde Stephan im Zug filmen, so war es ausgemacht, dann in Divisadero in einen Hubschrauber umsteigen und unsere weitere Zugfahrt von oben verfolgen. Uber der Station Creel, auf der Passhöhe sollte er so niedrig wie möglich hovern, während ich im weißen Humphrey-Bogart-Anzug auf die Lok zu marschierte und fröhlich winkte; dann würde er vorausfliegen und an der nächsten Station wieder zu uns umsteigen.
Creel, die Passstation, wirkt wie die Filmkulisse eines Western aus den Tagen von Pancho Villa: Reitpferde statt Mietautos am Bahnhofsvorplatz, ungeteerte, staubige Straßen, Blockhütten und Holzbuden, mit Segeltuch bespannte Souvenirstände, Garküchen, Marktfrauen und fliegende Händler — ein buntes, friedliches Gewimmel... friedlich jedenfalls, bis Stephan kam.
Ich hangelte mich gerade den seitlichen, schmalen Steg an der Diesellok entlang, als unser Hubschrauber ganz plötzlich hinter einem Fels hervorschoss, in direktem Angriff auf den Bahnhof. Wie ein Raubvogel stieß er herab und schwebte lauernd über unseren Köpfen, so tief, dass ich Stephans Schuhbändel hätte zuschnüren können, die wieder mal lose von seinem linken Fuß baumelten.
Erst waren es nur kleine, spiralförmige Staubteufel, die die Rotorblätter vom Boden aufwirbelten, aber bald wuchsen sie zu kleinen, dann zu großen Tornados heran, zu einem Sandsturm, der an den Sombreros der Männer zerrte und die Segeltücher auf den Marktständen zum wilden Knattern brachte. Die ersten Waren flogen von den Regalen, schützend warfen sich die Händler über ihr kostbares papel amate , die Malereien aus Rindenpapier, Sonnenschirme knickten nach außen, Ponchos und Indio-Decken flatterten haltlos, Pferde scheuten und Kinderwagen machten sich selbstständig und rollten auf Abgründe zu.
Empört reckten die Menschen die Fäuste zum Hubschrauber hoch, wütend brüllten sie Flüche und Verwünschungen, die man aber im Motorenlärm nicht hören konnte, verzweifelt schleuderten sie Orangen und Zwiebeln nach oben, die, von den
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