Feuersteins Reisen
Rotorblättern in feine Scheiben zerschnitten, auf die Werfer zurückfielen: Don Quijote im Kampf gegen die modernen Windmühlen. Es nutzte nichts. Unerbittlich stand der Sturmvogel in der Luft und wirbelte Chaos und Zerstörung übers Land.
In all dieser Zeit war Stephans Kamera ständig auf mich gerichtet. Ich wusste, dass er auf mein fröhliches Winken wartete — aber wie sollte ich fröhlich winken, wenn rundherum die Welt unterging? Würde der Kapitän der sinkenden Titanic fröhlich winken? Oder Napoleon in Waterloo? Außerdem hätte dies die Gefahr erhöht, dass die Leute den Zusammenhang herausfanden: dass Kamera und Hubschrauber zu mir gehörten, dass letzten Endes ICH der Hauptschuldige an der Zerstörung von Creel war. Da man des Hubschraubers nicht habhaft werden konnte, würde sich der Zorn des Volkes allein auf mich richten.
Also begann auch ich die Fäuste zu schwingen und ebenso hasserfüllt wie die andern nach oben zu drohen, damit nur ja keine Komplizenschaft vermutet werden konnte. Erstaunlicherweise sieht mein Drohen in unserem Film wie freundliches Winken aus, und mein Wutschnauben wie helle Freude. Wie nahe doch Lust und Verzweiflung beieinander liegen. Bei mir wenigstens.
Señora Constanza, unsere Aufnahmeleiterin, hätte dennoch beinahe alles verdorben. Zu meinem Entsetzen sah ich, wie sie über den Bahnsteig rannte, direkt auf mich zu, die Drehgenehmigung in der Hand. War ihr klar, dass sie uns bei diesem Versuch, die Lage zu klären, einem Lynchmob aussetzen würde?
Zum Glück drehte gerade in diesem Augenblick der Hubschrauber ab und riss ihr mit letztem Rotorschwall das Papier aus der Hand. Kurz darauf verließ unser Zug die Station. Aus zunehmender Entfernung konnten wir die gewaltige Staubwolke sehen, die über der zerstörten Passhöhe lag.
Ich schwöre Ihnen: Mit Stephan im Kamera-Hubschrauber hätten die Amis den Vietnamkrieg gewonnen.
Übrigens gab es noch einen weiteren, viel schlimmeren Hubschrauber-Wahnsinn. Aber den spare ich mir für den Schluss auf. Als Höhepunkt.
Müll & More
Feuerstein: »Eine pessimistische Lebensgrundhaltung, wie sie mir nun mal zu eigen ist, verleitet ständig zu Geschmacklosigkeit und birgt die Gefahr, andere ungewollt zu kränken.« Ein so bedeutender Satz möchte erklärt werden.
Im Umfeld von Depression und Selbstzweifel braucht man den so genannten Humor nicht als Spaßfaktor, sondern als Droge zur Lebensbewältigung: Lächerlichkeit und Übertreibung als Hilfsmittel, um den vermeintlichen Leidensdruck zurechtzurücken. Im besten Fall erkennt man dadurch, wie peinlich die eigene Wehleidigkeit ist, im schlechtesten muss man, um sich selber zu ertragen, die Dosis von Lächerlichkeit und Übertreibung noch weiter steigern, bis man bei Witzen über Darmkrebs und Flugzeugkatastrophen angelangt ist.
So weit bin ich noch nicht. Jedenfalls nicht oft. Aber immer wieder passiert es mir, dass ich im Rausch der eigenen Lächerlichkeit ohne böse Absicht andere einbeziehe und damit fürchterlich beleidige oder demütige. Bei Leuten, die sich wehren können, ist das nicht tragisch. Aber in den Reisefilmen zum Beispiel, die ja nicht nur informativ, sondern auch unterhaltend sein sollen, mit möglichst viel Lachern, wird schnell ein böses Eigentor daraus, wenn eine Szene aussieht, als würde ich meine Witzchen auf Kosten armer, einfacher Menschen machen, die nicht mal das Porto haben, um sich beim Intendanten zu beschweren.
In Afrika und Asien ist das kaum ein Problem: Hier sind die Unterschiede sichtbar genug, um als ständige Mahnung zu dienen, nicht in Kulturrassismus und westliche Arroganz zu verfallen. Der Blick auf die Hautfarbe genügt, um sich zu erinnern, dass ich dort die Minorität bin, und nicht die anderen. Dass ich kleiner bin als die meisten Schwarzen und gleich groß wie drei Milliarden Asiaten, ist ebenfalls hilfreich: Die Gefahr, auf andere herabzuschauen, entsteht gar nicht erst. Und es ist dadurch auch viel leichter, die Lacher auf mich zu beziehen.
Anders in Mexiko, dieser exotischen Verlängerung Spaniens. Einerseits fühlt man sich dort weiterhin im vertrauten westlichen Abendland, vor allem im touristischen Teil Mexikos, der noch grässlicher ist als die Costa Brava, so dass bei mir schnell die Hemmschwellen fallen und ich ebenso unbefangen darüber herziehen möchte wie über Bayreuth oder dessen rheinische Version, den Kölner Karneval. Andererseits ist Mexiko aber doch ein Drittland, arm noch dazu, so dass man sich behutsam
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