Feuersteins Reisen
und respektvoll zu nähern hat. Da lauert so manche Falle, die man aber meistens erst hinterher merkt, oder schlimmer noch: zu Hause am Schneidetisch.
In Mexiko bin ich gleich in mehrere dieser Fallen gestolpert: Geschichten, die wir vor Ort für irrsinnig komisch hielten und lustvoll drehten, die aber dann doch nicht brauchbar waren und im fertigen Film gar nicht mehr vorkommen.
Die arbeitslosen Tagwerker zum Beispiel, gleich am ersten Drehtag. An bestimmten Straßenecken stehen sie aufgereiht und warten, dass ihnen jemand einen Job anbietet. Manchmal fährt ein Auto im Schritttempo vorbei, ein Wink mit dem Zeigefinger von innen, und der Auserwählte springt hinein. Manchmal ist es ein Firmenlaster, dann kommt Unruhe in die Reihe. Denn jetzt geht es um ein Dutzend oder mehr Jobs, vielleicht sogar für mehrere Tage. Musternd schreitet der Auftraggeber das Spalier der Arbeitswilligen ab. Wen er antippt, springt auf die Ladefläche, die anderen haben wieder mal Pech gehabt.
Eigentlich eine recht praktische und bequeme Jobbörse, wie jeder von uns weiß, der mal auf die Schnelle einen Helfer für die neue Tapete im Flur gesucht hat. Denn hier findet man nicht nur Hilfsarbeiter fürs Grobe, sondern gestandene Handwerker jeder Art, die ihr Fachgebiet schon von weitem kenntlich machen: Wie beim Umzug mittelalterlicher Gilden tragen sie das typische Werkzeug ihres Berufs in der Hand: Maler ein paar verschieden große Pinsel, Maurer eine Kelle, Klempner eine Rohrzange und so weiter.
Ich hatte mir unsere Szene so vorgestellt: Die Kamera fährt langsam die Reihe der Jobsucher entlang, erst einer mit Zange, gefolgt vom Elektriker mit dem Prüfkabel, dann ein Typ mit Pinsel und schließlich ich mit dem Mikrofon in der Hand. Später würden wir Untertitel einmontieren: »Pedro S., Klempner; Alfredo G., Elektriker; Sergio X., Maler; Herbert F., Moderator«, und darüber ein Sprecher-Text, der etwa so lauten würde: »Wer in Mexiko einen Handwerker sucht, braucht sich nicht lange mit Telefonaten und Terminproblemen abzuquälen, sondern holt sich den Fachmann direkt von der Straße. Da kann man sofort entscheiden, wer vertrauenswürdig ist — und wer nicht.« Beim Stichwort »wer nicht« würde natürlich ICH im Bild sein, mit einem niedlich-verlegenen Grinsen. Und genau so drehten wir das auch.
Eigentlich ganz lustig, behaupte ich immer noch, aber nicht in diesem Zusammenhang. Und schon gar nicht mit diesen traurigen Gesichtern. Auch die Pesos, die wir den Leuten als Statistenlohn gezahlt hatten, änderten die Traurigkeit nicht: Es war die endgültige Traurigkeit der Resignation. Und die fertige Szene wirkte wie ein Hohn auf die Arbeitslosigkeit, vorführbar höchstens beim Humorabend in der Chefetage der Deutschen Bank. Peinlich, peinlich, peinlich, und in den Müll damit.
Oder die Sache mit den Mecanógrafos, Profi-Textern, die an der Plaza Santo Domingo , ebenfalls am Straßenrand, auf vorsintflutlichen Schreibmaschinen Behördenformulare für Analphabeten ausfüllen oder Formbriefe für Grammatikschwache verfassen, Bewerbungen, Eingaben und Beschwerden, aber auch wunderbar gestelzte Liebesbriefe für Romantiker, die zwar sehnsuchtsvolle Wünsche haben, aber nicht den richtigen Wortschatz dafür, also Kerle wie Berti Vogts, Dieter Bohlen oder Prinz Charles. In Mexiko wenden sich diese ganz einfach an den nächsten Mecanógrafo, beschreiben ihm das Objekt ihrer Begierde, die Umstände der Bekanntschaft und das Ziel ihrer Wünsche — und der Lohnschreiber wird zum Liebesboten, zum Don Juan der Worte, mit aller Glut und Leidenschaft, die bekanntlich in der spanischen Poesie stecken.
Aber das war ebenfalls eine Falle. Denn was bei unserem Dreh herauskam, war nicht ein Spaß mit der Kraft des Wortes, sondern das scheue Gesicht der Unbildung: Statt lendenstarker, aber wortschwacher Machos nur verlegene, hilflose Menschen mit zerknitterten Formularen und dem gleichen Ausdruck der Resignation wie vorhin die Arbeitslosen. Noch peinlicher, und weg mit der Szene.
Den spanischen Liebesbrief, den ein Mecanógrafo für mich vor der Kamera entworfen und mit seinem Schreibapparat auf zitronengelbes, mit einem aufgedruckten Liebespaar geschmücktes Briefpapier gestanzt hatte, verwendete ich doch — aber nur privat. Ich sandte ihn an meine spätere Frau, die damals noch an der Leipziger Universität studierte, in der Annahme, sie würde dort bestimmt einen Romanisten finden, der ihr den Inhalt übersetzen und damit mein Herz zu Füßen
Weitere Kostenlose Bücher