Feuersteins Reisen
war schon fast dabei, mich ein bisschen zu schämen und den Rückweg anzutreten, aber dann dachte ich daran, wie stolz Inge Meysel jetzt auf mich sein würde. Also zog ich die Schmierenszene bis zum Letzten durch. Und in der Tat: Es gab nie wieder Probleme mit einer Minibar. Ich vermute, dass Wolpers seither heimlich eine weitere Ausrüstungskiste mitnimmt. Gefüllt mit einer gefüllten Minibar.
Die Grundregel lautet: Psychoterror gedeiht besonders prächtig am schuldhaften Verhalten anderer, wie klein es auch immer sein mag. Was aber, wenn Terrorlust in einem nagt, aber rundherum nur Unschuld wuchert? Dann tritt Plan B in Kraft: Man zwingt den anderen, ein Unrecht zu bekennen, das er gar nicht begangen hat.
Auch das geschah in Mexiko, im magisch verträumten Oaxaca, wo mir eine Wunderheilerin vor der Kamera die Dämonen austreiben sollte: eine limpia , »Säuberung«.
Wolpers und ich berieten uns auf der Straße vor dem Haus der Heilerin, während in mir die Dämonen unruhig wurden, weil sie natürlich unbedingt in einem so tollen Körper bleiben wollten. Ich hatte mir eine bestimmte Strategie überlegt, wie ich die Sache angehen wollte, Wolpers, in aller Unschuld, schlug eine andere vor... und das verunsicherte mich. Und da ich unglaublich leicht zu verunsichern bin, konnte ich mich nur durch Psychoterror retten: Wie er es wagen könne, mir dreinzureden, jetzt sei mein Selbstvertrauen futsch und damit der ganze Dreh verdorben, unter solchen Bedingungen könne ich nicht arbeiten, und so weiter, mit Schaum vor dem Mund.
So kam es, dass ich Wolpers vom Drehort aussperrte. Er, mein Produzent und Regisseur, der später im Schnittstudio die totale Macht über meine Sendung haben würde, musste draußen spazieren gehen, während drinnen die Heilerin mit meinem Dämon rang, mich dabei bespuckte und mit Eiern bewarf. Es war, als müsste Peymann vor dem Theater warten, bis die Proben fertig sind, oder Kirch im Korridor, während der Verhandlung mit der Bank. Ob ich mich das bei denen ebenfalls trauen würde? Ich nehme fast an, dass die beiden das ahnen — denn sie haben mir bisher noch nie einen Job angeboten.
Es könnte sein, dass in Ihren Augen jetzt Tränen des Mitleids für Wolpers stehen. Überflüssig, ich schwöre es Ihnen. Er macht das nicht nur freiwillig, er braucht es. Die Wissenschaft der Viktimologie gibt mir recht: Nicht nur der Täter braucht ein Opfer, sondern auch umgekehrt. Mehr noch: Ein Opfer ohne Täter ist ein Nichts. Wenn Sie also Mitleid mit Wolpers haben, wollen Sie ihn dann zum Nichts machen? Und wollen Sie MIR so was an tun? Soll ich mit einem Nichts arbeiten?
Außerdem ist Wolpers gar nicht so wehrlos, wie es jetzt aussehen mag. Er rächt sich, indem er mich immer wieder vor der Kamera dazu zwingt, stinkende Kinder und eklige Tiere anzufassen, nackt zu tanzen oder — das Schlimmste für mich — in Boote zu steigen. Oder er mogelt bei der Tonmischung Hollywood-Schnulzen, die ich leidenschaftlich hasse, als angeblich nötige Hintergrundmusik dazu.
Wie oft hatte ich mir fest vorgenommen, auf den Psychoterror zu verzichten, denn dieser ist anstrengend, kostet Kraft und Kreativität. Aber Wolpers läßt es nicht zu, das Opfer schreit nach der Qual, bettelt darum. Er stichelt dann ständig, schneidet Grimassen, fordert mich heraus, wettet mit mir, ich würde mich nicht trauen, ihm Tinte über den Kopf zu schütten (er verliert) oder zupft mich im Teambus am Ohr, mit der Bemerkung: »Witzig, witzig, witzig!« Oder er singt stundenlang genau diese Hollywood-Schnulzen, die ich so leidenschaftlich hasse und die er später heimlich in den Soundtrack mischen wird. Und das schlimmste: Wenn ich ihn ermahne, gackert er als Antwort wie ein Huhn.
Da schlage ich schon mal mit dem Lineal zu. Meistens küsst er mir dann reuevoll die Füße, aber manchmal schlägt er sogar zurück, wie damals, in diesem feinen japanischen Restaurant in Honolulu, wo wir uns beide Wasabi, den scharfen, grünen Meerrettich, auf die Finger schmierten und versuchten, sie uns gegenseitig ins Ohr zu stecken. Ausländische Aufnahmeleiterinnen sind dann meist sehr verwirrt, manchmal sogar sexuell erregt, denn sie missdeuten unser Verhalten als seltsame deutsche Perversion. Aber was soll’s, wir verstehen ja Ausländer auch oft falsch.
Bemerkenswert ist, dass mein Psychoterror gegenüber Wolpers gerade in Mexiko seinen Höhepunkt erreichte. Weder vorher noch nachher war ich jemals so gnadenlos. Kann es sein, dass mich das Erbe der
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