Feuertanz
weiß nicht, wo er Magnus’ Flasche fand … aber überall standen ja welche herum. Mir ist unbegreiflich, weshalb er den Schnaps probiert hat. Aber so sind halt Kinder. Sie wollen alles ausprobieren. Er war ja noch so klein!«
Die letzten Worte sprach sie mit flehender Stimme, und Irene konnte sie in gewisser Weise verstehen. Mütter legen sich gerne einiges zurecht, um ihre Kinder zu beschützen. Aber in diesem Fall war es auf Kosten ihres anderen Kindes gegangen. Und das war weniger verständlich.
»Sie haben mir erzählt, dass Ihnen schon recht früh aufgefallen ist, dass Feuer Sophie faszinierte. Aber eigentlich haben Sie da gar nicht von Sophie gesprochen, sondern von Frej. Nicht wahr?«
Angelica öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder. Worte waren überflüssig. Ihr entsetzter Blick sprach Bände.
Das Verhör mit Frej verlief zügig. Anfangs hatte er sich geweigert, die Fragen der Polizisten zu beantworten, aber recht bald lenkte er ein und begann zu sprechen. Zuerst hatte er nur recht einsilbig geantwortet, aber nach einer Weile empfand er offenbar ein richtiggehendes Bedürfnis danach, zu erzählen. Sein Redefluss war kaum zu bremsen gewesen. Irene hörte sich das Tonband mit den Verhören mehrmals an, und ihre Trauer und ihr Mitgefühl nahmen mit jedem Mal zu.
Das Familiengeheimnis, das nie erwähnt und auf das nie verwiesen werden durfte. Sprach man nicht darüber, so existierte es nicht. Aber die Wahrheit lauerte latent und brachte sich wie eine eiternde Wunde immer wieder in Erinnerung. Das Lügengebilde, das um sie herum errichtet worden war, um sie zu verbergen, wuchs unkontrolliert wie ein Krebsgeschwür. Und zuletzt ließ sich nicht mehr verhindern, dass der Panzer platzte und der Inhalt hervorquoll. Die gefürchtete Wahrheit.
Angelica, Ingrid und Sophie hatten die Wahrheit verschwiegen, um Frej zu beschützen. Es war jedoch fraglich, ob sie ihm damit einen Gefallen getan hatten. Seine Schuld bestand fort, die der Frauen ebenfalls.
Irene legte das Band ein, auf dem Frej erzählte, was sich in der Nacht des 24. September, in der Sophie aus dem Park Aveny Hotel verschwunden war, ereignet hatte:
Frej: »Wir hatten eine Art Code. Wenn einer von uns einen Löschzug oder … ein geeignetes Objekt entdeckt hatte. Also, um es anzuzünden … Sophie brauchte schließlich die Fotos. Dann schickten wir uns gegenseitig eine SMS ›Feuer‹ und einigten uns auf einen Treffpunkt. In dieser Nacht verspürte ich das Bedürfnis, eine uralte Scheune anzuzünden, die ich in der Nähe von Skrabro entdeckt hatte. Jedes Mal, wenn ich zu Ingrid hinausfuhr, sah ich diese verfallene Scheune. Sie lag nur fünfzig Meter von der Straße entfernt. Ich wusste auch, dass sie bald abgerissen werden würde, um einem Einkaufszentrum Platz zu machen. Ich schickte also meine SMS, die sie erreichte, als sie gerade die Treppe des Hotels hochging. Sie wollten noch bei diesem alten Knacker, dem Schriftsteller, mit dem Sophie verwandt war, weiterfeiern. Auf der Rückseite des Hotels gibt es eine weitere Treppe, und sie machte sich auf diesem Weg dünn. Ich wartete auf der Rückseite des Hotels auf dem Parkplatz. Dann fuhren wir auf dem Björlandavägen nach Skrabro … wo die Scheune lag. Sie war ungemein baufällig und sollte sowieso weg, also gossen wir Benzin drauf und zündeten sie an. Aber etwas ging schief. Ein alter Mann kam aus einem Haus in der Nähe angerannt und begann rumzubrüllen. Und dann schoss dieser verdammte Affe mit einer Flinte auf uns! Sophie bekam wahnsinnige Angst und rannte auf unser Auto zu und fiel dabei in einen Graben. Sie merkte jedoch nicht gleich, dass sie sich am Arm verletzt hatte. Wir warfen uns ins Auto und fuhren los. ›Wir müssen uns verstecken! Er ruft die Polizei! Die bauen Straßensperren auf!‹, schrie Sophie. Möglich war’s ja. In dem Moment kam es uns jedenfalls so vor. Wir fuhren also nach Björkil, weil ich Ingrids Schlüssel in der Tasche hatte. Wir stellten das Auto in die Scheune, damit es niemand sehen konnte. Sophie war vollkommen hysterisch. So hatte ich sie noch nie erlebt. Sie war total am Durchdrehen. Sie wollte, dass wir uns im Büro im Stall verstecken, denn die Polizei würde uns im Haus entdecken, sagte sie. Sie faselte, man würde glauben, wir seien Einbrecher oder so, man würde uns erschießen und so weiter. Sie war total abgedreht. Vielleicht auch … weil sie was geraucht hatte.«
Irene: »Nahm sie oft Drogen?«
Frej: »Nein, keine
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