Feuertanz
Verhör ist für heute beendet.«
Irene nahm die Kassette aus dem Kassettenrekorder. Sie erwog, sich noch die Kassette mit dem Verhör über den Brand in Björkil anzuhören, überlegte es sich dann aber anders. Bei diesem Verhör war nicht viel herausgekommen. Frej hatte behauptet, sich nicht mehr daran erinnern zu können, weil er damals noch so klein gewesen sei und ihn der Tod seines Vaters in einen Schockzustand versetzt habe. Vermutlich habe er alles verdrängt. Die ganze Zeit über hatte Irene den Eindruck, dass er sich an mehr erinnerte, als er zugeben wollte. Der einzige Durchbruch war gewesen, dass er nicht geleugnet hatte, sich unerlaubterweise nach Hause begeben zu haben, nachdem seine Tante nach dem Essen eingeschlafen war.
Der Gerichtspsychologe würde sich im Laufe des Tages mit Frej unterhalten. Mit seinem Gutachten war in ein paar Tagen zu rechnen.
Sie hatten die Aussage bezüglich der Scheune in Skrabro überprüft. Der ältere Mann hatte Anzeige wegen versuchter Brandstiftung erstattet und bestätigte Frejs Angaben mit Ausnahme der Schüsse. Er behauptete beharrlich, dass er mit seiner Flinte nicht auf die jungen Leute gezielt, sondern in die Luft gefeuert habe. Nein, er habe die Schüsse bei seiner Anzeige nicht erwähnt, weil er es wohl einfach vergessen habe.
Der Gerichtspsychologe Wallén sah Sven Andersson und Irene über den Rand seiner schmalen Lesebrille hinweg an. Der Kommissar und er waren gleichaltrig und kannten sich nach über zwanzigjähriger Zusammenarbeit gut. Er faltete seine Wurstfinger vor seinem Bierbauch und lehnte sich zurück. Er hatte gerade zu Mittag gegessen und wollte der donnerstäglichen Erbsensuppe mit Pfannkuchen den Weg durch den Verdauungsapparat ebnen. In bedächtigem Schonendialekt eröffnete er das Gespräch: »Ich habe eine psychiatrische Untersuchung von Frej angeordnet. Das kann eine gute Woche dauern. Ich finde bislang das, was er über die letzte Lebenswoche seiner Schwester erzählt hat, sehr glaubwürdig. Sie scheint diejenige mit der abweichenden Persönlichkeit gewesen zu sein, aber das ist ein anderes Kapitel. Oder auch nicht. Vielleicht war es ja auch eine folie à deux. Eine psychisch kranke Person, die eine andere prädisponierte Person so stark beeinflusst, dass diese Person sich ebenfalls abnorm verhält oder ganz einfach ebenfalls krank wird. Was Sophie angeht, könnte ihr Cannabiskonsum sehr wohl eine Psychose ausgelöst haben, insbesondere in Kombination mit dem aufwühlenden Erlebnis der missglückten Brandstiftung. Vor allem, da sie bereits von Kindheit an eindeutig neuropsychatrische Störungen aufwies.«
»Du glaubst also, dass sie psychisch krank war?«, warf Irene ein.
»Ihr Verhalten nach der Flucht von der Scheune lässt auf paranoide Wahnvorstellungen schließen.«
»Man könnte also sagen, dass Frej von Sophies Paranoia angesteckt wurde?«, fragte Irene.
»Nein. Ganz so einfach ist es nicht. Es handelt sich dabei um sehr komplizierte Prozesse. Frej scheint sich in einer Art Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Schwester befunden zu haben, dem wahrscheinlich ein Schuldkomplex zu Grunde lag. Schließlich schob man ihr den Brand in die Schuhe, den er verursacht hatte. Dazu kam die Verantwortung für den Tod seines Vaters, die er mit sich rumschleppte. Man hätte dem Jungen vor fünfzehn Jahren helfen müssen, als all dies passierte.«
»Glaubst du, dass er in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird oder ins Gefängnis kommt?«, fragte Andersson.
»Dazu kann ich mich noch nicht äußern. Möglicherweise wird er zu einer Gefängnisstrafe wegen fahrlässiger Tötung oder Brandstiftung oder beidem verurteilt. Aber das hängt von medizinischen und juristischen Haarspaltereien ab. Die Schwester kam im Feuer um. Die Obduktion hat ergeben, dass sie noch schwach atmete, als es zu brennen begann. Aber sie hatte eine ziemliche Überdosis Opiate zu sich genommen. Wahrscheinlich hatte sie die Tabletten aufgebraucht und griff dann zu den Suppositorien.«
»Suppositorien?«, unterbrach ihn der Kommissar.
»Medikamente, die über den Enddarm resorbiert werden. Sie wirken auf diesem Weg viel schneller. Sie hatte die letzten Tabletten zusammen mit den Zäpfchen genommen und dadurch überdosiert. Eine Überdosierung von Opiaten führt zu Atemlähmung. Der Teil des Gehirns, der für die Atmung zuständig ist, fällt aus. Der Kranke hört ganz einfach auf zu atmen. Ehe der Tod eintritt, kann die Atmung so schwach und flach sein, dass
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