Feuertanz
widerstehen können.«
Die Frau auf dem Stuhl hatte sich nicht bewegt, aber Irene wusste, dass sie ihr zuhörte und dass sie nervös war. Sie hatte auch allen Grund dazu.
»Hat Sie Frej darum gebeten, Ingrid die Schachtel zu geben …«
»Frej wusste von nichts!«, schrie Angelica und sprang von ihrem Stuhl auf.
Ihre Augen funkelten vor Wut, und sie ballte die Fäuste, als wolle sie Irene schlagen.
»Ach? Frej wusste also von nichts? Wieso soll ich das glauben? Er beerbt schließlich seine Tante. Wir wissen, dass ihr der Verkauf des Hofes sehr viel Geld eingebracht hat«, sagte Irene ruhig.
Angelica schluckte mehrmals, bevor sie mit halberstickter Stimme sagte: »Ich … ich habe seine Schlüssel genommen oder genauer gesagt Ingrids Schlüssel.«
Jeglicher Kampfgeist war von Angelica gewichen, und sie sank in ihren Stuhl zurück.
»Wo haben Sie die Schlüssel her?«
»Aus Änggården. Er war nicht zu Hause, als ich hinkam, und er hatte Ingrids Schlüsselbund auf den Arbeitstisch in der Dunkelkammer gelegt.«
»Welche Schlüssel hingen an diesem Schlüsselbund?«
»Die Schlüssel zum Hof und zum Seniorenheim.«
»Sie gelangten also mit Hilfe dieser Schlüssel zu Ingrid?«, verdeutlichte Irene.
Angelica nickte resigniert und schluchzte.
»Wann waren Sie denn abends bei Ingrid?«
»Das war am Mittwoch gegen sechs.«
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Irene mit Frej in seiner Dunkelkammer unterhalten. Er war gestresst gewesen und hatte sicherlich vergessen, dass er den Schlüsselbund auf den Arbeitstisch gelegt hatte. Also hatte er ihn später auch nicht vermisst. Jedenfalls hatte er darüber kein Wort verloren.
»Sind Sie mit dem Fahrstuhl zu Ingrid hinaufgefahren?«
»Nein, ich habe die Treppe genommen«, erwiderte Angelica leise.
»Und Sie sind auf der Treppe niemandem begegnet?«
Sie schüttelte den Kopf und wischte sich die Tränen von den Wangen.
»Wann haben Sie den Schlüsselbund zurückgelegt?«
»Am selben Abend. Ich wusste, dass Frej zum Capoeira gehen und erst spät nach Hause kommen würde. Er wusste wirklich nichts! Ich habe es allein und aus freien Stücken getan.«
Tommy beugte sich vor und legte ihr leicht seine Hand auf den Arm.
»Warum?«
Sie sah ihn verzweifelt an und sagte aufschluchzend: »Darüber kann ich nicht sprechen.«
Ihr Schluchzen ging in herzzerreißendes Weinen über. Tommy nahm Papiertaschentücher aus der Schreibtischschublade und reichte Angelica eines nach dem anderen.
Als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, sagte Irene: »Angelica. Ich habe der Premiere des Feuertanzes beigewohnt. Ich erinnere mich an Ihre Miene, als Sie aus dem Saal stürzten. Sie sahen aus, als fürchteten Sie um Ihr Leben, als hätten Sie ein Gespenst gesehen. Denn wenn jemand Sophies Tanzmärchen deuten konnte, dann waren Sie das.«
Irene machte eine Pause. Angelica presste sich ein Papiertaschentuch vor den Mund und starrte sie mit aufgerissenen Augen an.
Die Wächterin fand dann den friedlich schlafenden Prinzen, der zärtlich seine leere Flasche im Arm hielt. Resolut zog sie ihn hoch. Sie versteckte ihn unter dem weiten Rock der Königin. Dann legte sie ihr den großen Umhang über die Schultern, um ihn noch besser zu verbergen. Die List gelang, denn keinem der Gäste schien aufzufallen, wie der Prinz von den beiden Frauen fortgebracht wurde.
»Der Feuertanz ist die wahre Geschichte darüber, was sich vor fünfzehn Jahren beim Brand in Björkil wirklich ereignete. Ingrid war die Wächterin, und Sie waren die Königin. Zusammen haben Sie Prinz Frej bis jetzt beschützt. Es gelang Ihnen, ihn aus allem herauszuhalten. Niemand wusste, dass er sich im Haus befunden hatte. Nur Sophie. Sophie beschützte ihren Bruder auf die einzige ihr mögliche Art und Weise. Durch Schweigen. Und Sie schwiegen ebenfalls.«
»Daran war diese alte Hexe schuld! Wenn sie nicht eingeschlafen wäre, wäre das nie passiert! Schließlich befand er sich in Ihrer Obhut! Aber sie schlief ein, und da schlich er sich nach draußen.«
»Er ging also nach Hause nach Björkil.«
»Ja«, flüsterte Angelica mit tonloser Stimme.
»Wusste er, dass sein Vater daheim war?«
Angelica schwieg eine Weile, schüttelte dann den Kopf und sagte: »Nein. Magnus schlief im Obergeschoss, und es brannte kein Licht. Frej wusste nicht, dass er zu Hause war. Ich glaube, er war enttäuscht, als er nach Hause kam und – wie er glaubte – keiner da war. Vermutlich war nicht abgeschlossen, schließlich kam er ja irgendwie ins Haus. Ich
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