Feurige Küsse
geheimnisvoll.
Unter der unscheinbaren Hülle kam Erstaunliches zutage: Vor einem azurblauen Himmel voller Schäfchenwolken tummelten sich wahre Heerscharen von Putten, drall und rosig. Teils einzeln, teils in Gruppen trugen sie 24 Kisten in der Größe von Streichholzschachteln. Jede von ihnen versiegelt, als enthielten sie echte Kostbarkeiten. Was hatte Tante Annelie da nur wieder aufgetrieben! Halb amüsiert, halb ehrlich neugierig öffnete sie am 1. Dezember die erste Schachtel. Sie hatte eine Süßigkeit erwartet, vielleicht eine witzige Kleinigkeit – nicht jedoch einen Zettel wie diesen, den sie zweimal lesen musste, weil sein Text ihr so unglaublich erschien.
Übung 1:
Betrachte Dich im Spiegel mit den Augen eines anderen: Was ist besonders anziehend an Dir?
Wenn es Deine Augen sind, dann schminke sie heute sorgfältig. Wenn es Dein Mund ist, wähle einen ungewöhnlichen Lippenstift. Wenn es Dein Haar ist, frisiere es anders als üblich. Wenn Du schöne Beine hast, zeige sie!
Eigentlich war sie bereits fertig fürs Büro. Was also trieb sie erneut vor den Spiegel? Ihr Ebenbild erschien ihr plötzlich kalt, wie zur Maske erstarrt. Nüchtern betrachtet, sah sie unglaublich abweisend aus. Langweilig.
Kurz entschlossen holte sie das bunte Schminktäschchen aus dem obersten Fach. Hier und da hatte sie den verlockenden Farben in den Regalen der Drogerie nicht widerstehen können. An ihrer Frisur war nicht viel zu ändern: Der Kurzhaarschnitt, den sie alle drei Wochen nachschneiden ließ, saß korrekt wie eine Fellkappe. Aber ein anderes Make-up war durchaus machbar. Zwanzig Minuten später strahlten ihre nussbraunen Augen warm unter dem Lidschatten mit der lyrischen Bezeichnung Golden Moss , und als sie die Lippen zu einem Lächeln verzog, schien der Mund dank des zarten Perlmuttschimmers von Pink Pearl ausdrucksvoller, ja geradezu verführerisch.
Ehe sie alles wieder abwischen konnte, griff sie nach ihrer Aktentasche. Sie war spät dran, stellte sie nach einem Blick auf die Uhr fest. Keine Zeit für Umwege. Nahezu im Laufschritt eilte sie an Thieles kleinen Schätzen vorüber und konnte doch nicht widerstehen, einen Blick hineinzuwerfen. Max Thiele stand unmittelbar hinter der Schaufensterscheibe, voll und ganz darauf konzentriert, antiken Christbaumschmuck auf einem Hutständer zu befestigen. Er sah nicht auf, aber schon sein Anblick ließ ihr Herz schneller schlagen. Die Erinnerung an seine Hände verfolgte sie den ganzen Tag. Wenn sie die Augen schloss, stellte sie sich vor, wie sie über ihre Haut glitten, ihre Flanken liebkosten. Weiter zu ihren Brüsten wanderten und die empfindsamen Knospen streichelten, bis sie fest und prall nach mehr verlangten. Dann würde er sie zwischen Daumen und Zeigefinger nehmen und rollen und kneten, bis sie sich wahnsinnig vor Erregung unter seinen Händen aufbäumte …
Niemand in der Firma schien von den Veränderungen an Elke Notiz zu nehmen. Auch nicht, als sie an den folgenden Tagen Anweisungen befolgte wie: Lächle jeden Menschen an, mit dem Du sprichst. Oder: Versuche, Dein Gegenüber so wahrzunehmen, dass Du es später genau beschreiben könntest.
Aus irgendeinem Grund stand Max Thiele jetzt stets in seinem Schaufenster, wenn sie in die Arbeit oder nach Hause ging. Fast, als erwarte er sie. Und sie ging jeden Tag die Strecke, die sie vorher gemieden hatte, als suche sie seine Nähe. Unsichtbare Fäden schienen sie zu ihm hinzuziehen.
Warum benahm sie sich nur so albern? Warum konnte sie nicht einfach in seinen Laden spazieren und ihn zum Essen einladen oder so etwas. Ärgerlich auf sich selbst gestand sie sich ein, dass sie schlicht und einfach Angst davor hatte. Sich auf einen Mann einzulassen, der sie körperlich so stark anzog, war ein Wagnis. Und Elke ging keine Wagnisse ein. Ihre bisherigen Affären, anders konnte man es nicht nennen, hatte sie stets sorgfältig ausgewählt. Es waren alles Männer gewesen, die sie problemlos aus ihrem Leben hatte entfernen können, sobald sie ihrer überdrüssig geworden war. Und irgendetwas sagte ihr, dass Max Thiele kein solcher Mann war.
Als sie am Nikolaustag den Zettel mit dem Auftrag Nimm diese Quittung und löse sie ein entfaltete, wurde ihr Mund trocken, sobald sie die Adresse las. Es war die von Thieles kleinen Schätzen .
Den ganzen Tag fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren. Ständig schweiften ihre Gedanken ab; und sie ertappte sich, wie sie darüber nachdachte, was sie heute Abend
Weitere Kostenlose Bücher