Feurige Küsse
Kindchen!“
Tante Annelie umarmte sie herzlich, und Elke spürte erstaunt, wie ihre schlechte Laune von ihr abfiel wie der Eispanzer von dem Mann in der Schnupfenmittelwerbung. Die alte Dame zog sie in ihr kleines Wohnzimmer. Als Kind hatte Elke sich immer gewünscht, einmal all die vollgestopften Schubladen, die geheimnisvollen Samtschachteln mit den verschossenen Goldborten erkunden zu dürfen. Tante Annelie hatte ein aufregendes Leben geführt. Als junge Frau hatte sie ihren Mann, einen Handelskapitän, um die ganze Welt begleitet. Und von überall hatte sie Erinnerungsstücke mitgebracht. Nicht die gewöhnlichen, die jeder erwartet hätte – nein, Annelie hatte eher bizarr anmutende Gegenstände gesammelt: Da gab es Penishülsen und Nasenschmuck aus Neuguinea; Lippenpflöcke aus Brasilien; fein geflochtene Schamschnüre aus Australien; winzige Seidenschuhe aus China; Haifischzähne und Farbpulver für Tätowierungen aus Polynesien und vieles mehr, dessen Gebrauch Elke auch jetzt noch ein Rätsel war. Aber benutzt worden war es mit Sicherheit, denn Tante Annelie sammelte nur Gebrauchtes.
Selbst die unzähligen glatt polierten Dildos aus Elfenbein oder Ebenholz, Jade oder sonst einem kostbaren Material hatten früher einmal alle in heißen, nassen Scheiden gesteckt. Bei der Vorstellung überlief es Elke heiß, und sie trank so rasch von dem gewürzten Tee, dass sie sich die Lippen verbrannte. „Alles in Ordnung mit dir, Kind?“ Tante Annelie musterte sie mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen. Also beeilte Elke sich, ihr zu versichern, dass alles bestens sei, – ihr Job wunderbar, die Kollegen ein Traum.
„Und dein Privatleben? Was ist mit dem netten jungen Mann aus dem neuen Trödelladen in deiner Straße?“
Elke fixierte die Sammlung der kunstvoll geschnitzten Figürchen im Vertiko in allen möglichen und unmöglichen Stellungen des Kamasutra. „Was soll mit ihm sein?“, fragte sie zurück, wobei sie sich größte Mühe gab, gleichgültig zu klingen. Tante Annelies fein gezupfte Brauen hoben sich zu ausdrucksvollen Bogen: „Nun, es war nicht zu übersehen, dass er ein ausgesprochenes Interesse an dir hatte. Und ich muss sagen, wenn ich ein paar Jährchen jünger wäre …“ Ihr Blick wurde glasig. Auch Elke verspürte beim Gedanken an den Inhaber von Thieles kleine Schätze erneut ein gewisses Kribbeln im Bauch. Er hatte sie keineswegs so unbeeindruckt gelassen, wie sie es jetzt ihrer Tante und sich selbst einzureden versuchte. Im Gegenteil, sein Lächeln hatte all ihre Alarmglocken schrillen lassen. Während er ihrer Tante höflich Auskunft über ein Paar Geishakugeln aus Walknochen gegeben hatte, war sein Blick mit geradezu unverschämter Intensität über Elkes Körper geglitten, hatte ihn abgetastet. „Selbstverständlich sind sie original“, hatte er gesagt. „Fühlen Sie nur, wie glatt poliert sie sind. Und ganz schön schwer, nicht wahr?“ Mit einem leichten Zwinkern hatte er die Kugeln in Elkes Hände gleiten lassen. „Die Geishas nutzten sie, um ihre Scheidenmuskeln zu trainieren. Sind sie nicht traumhaft?“
Wie unabsichtlich hatten seine schlanken, sehnigen Finger ihre Hand berührt. Der kaum wahrnehmbare Kontakt hatte sie wie ein elektrischer Schlag getroffen. Sie war so heftig zusammengezuckt, dass sie um ein Haar die Kugeln fallen gelassen hätte.
„Vorsicht, Kind“, Tante Annelies Ausruf hatte sie gerade noch zur Besinnung gebracht.
„Ich warte dann draußen“, hatte sie gestammelt und die Kugeln schleunigst ihrer Tante weitergereicht. Sie hatte so hart daran gearbeitet, als taff und clever zu gelten. Ein Mann, der es fertigbrachte, allein mit einer zufälligen Berührung ihren Körper in Aufruhr zu versetzen, war definitiv gefährlich. Zu gefährlich.
Tante Annelie hatte erstaunlicherweise keinen Kommentar zu ihrem ungewöhnlichen Verhalten abgegeben, als sie nach ein paar Minuten mit einer großen, braunen Papiertüte in der Hand aus dem Geschäft getreten war. Von dem Tag an war Elke einen anderen Weg zur Arbeit gegangen. Er war ein wenig länger, hatte aber den Vorteil, nicht an Thieles kleinen Schätzen vorbeizuführen.
Tante Annelies Blick klärte sich wieder; sie wandte sich jedoch zu Elkes Erleichterung anderen Themen zu. Umso überraschter reagierte sie, als Tante Annelie ihr beim Abschied ein großes, in Packpapier gewickeltes Paket überreichte. „Du bist zwar ein bisschen alt für Adventskalender, aber dieser ist ein ganz spezieller“, verkündete sie
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