Fever Pitch
wirtschaftlicher Verarmung leiden, die den Nordosten plagt, wie erklärt man dann das untadelige Verhalten der Villafans? Zwei Teams aus derselben Stadt; aber eins spielt in der ersten Division und das andere siecht in der dritten dahin. Als Leeds, Chelsea und Manchester United in der zweiten Division waren, versetzten ihre Fans jedermann in Angst und Schrecken, als Millwall in die erste aufstieg, verflüchtigte sich der Ruf seiner Anhänger für böse, ungeheuerliche Gewalttätigkeit ein wenig. Und ich glaube nicht, daß schlechter Fußball für sich allein genommen das Verhalten der Leute wirklich verändert; das ist es nicht, auch wenn es so etwas wie kompensierenden Stolz gibt ( »Wir sind vielleicht nicht besonders gut im Fußball, aber wir können euch eine ordentliche Abreibung verpassen« ); es liegt eher daran – wie kann ich das taktvoll formulieren? –, daß es einen höheren Anteil von Verrückten unter den Nur-nicht-aufgeben-wirwerden–euch-immer-unterstützen-Typen, also im harten Kern gibt, als unter den Scheiß-drauf-ist-doch-Spaß-Leuten, den unsicheren Kandidaten.
So findet man bei Zuschauerzahlen von fünfundzwanzigtausend ein paar hundert Unruhestifter; wenn der Verein dann nur noch Zuschauerzahlen von fünf- oder sechstausend hat, werden dieselben paar hundert noch immer aufkreuzen, und plötzlich ist die winzige Minderheit viel bezeichnender geworden, und der Club hat seinen Ruf weg.
Und wenn man erst einmal einen Ruf hat, fängt man an, bei denjenigen Anklang zu finden, die von der Aussicht auf Gewalt angezogen werden, die mit diesem Ruf verbunden wird. Das, denke ich, ist Chelsea und Millwall in den späten Siebzigern und Achtzigern passiert. Es ist auch das, was England zwischen dem Ausscheiden bei der Weltmeisterschaft 1974 und der Qualifikation für Italien 1990 passiert ist. Den Großteil dieser Zeit war England eine hoffnungslose Mannschaft, und sie zog einen ziemlich hoffnungslosen Haufen an.
Das Problem bei dem Ganzen ist, daß es sich Clubs, sofern ihre Mannschaft nicht gut spielt, Trophäen gewinnt, ihre Stadien füllt, einfach nicht leisten können, selbst die Leute zu vergraulen, die sie eigentlich ausschließen sollten. Mir fällt zumindest ein Clubpräsident ein, der in der Vergangenheit auffallend ambivalent hinsichtlich einiger der unangenehmen Figuren war, die seinen Club über Wasser halten, und mir ist nicht bewußt, daß seitens der englischen Fußballfunktionäre irgendwelche besonders durchschlagenden Kampagnen unternommen wurden, um ein bestimmtes Publikum zu vertreiben und ein anderes anzulocken (jede Kampagne dieser Art wurde von den Fans selbst unternommen); sie wissen – in ihrem Innersten –, wer ihnen die Butter aufs Brot streicht.
Ich versuchte, den Abend wiedergutzumachen, indem ich anbot, meine neuen Arbeitskollegen nach Highbury mitzunehmen, da ich wußte, daß wir dort in Ruhe gelassen würden, egal ob wir auf den Rängen stünden oder auf den Sitzplätzen säßen. Aber jedesmal, wenn ich das vorschlug, sahen sie mich nur an und lächelten, als ob die Einladung ein extremes Beispiel des bekanntermaßen unverständlichen englischen Sinns für Humor sei. Ich schätze, sie denken immer noch, daß ich jeden Samstagnachmittag damit verbringe, von Polizeipferden bedrängt zu werden und später irgendwo in einem Aufgang zu kauern, zu verängstigt, um den Sitzplatz zu beanspruchen, für den ich gezahlt habe, und mit dem Spiel gegen die Niederlande als Anhalt ist das eine naheliegende Vermutung. An ihrer Stelle hätte ich am Donnerstagmorgen als allererstes mit der Zentrale telefoniert und um einen Posten irgendwo anders, ganz gleich wo in der Welt, gebeten und gebettelt.
Gus Caesar
Arsenal gegen Luton – (in Wembley) 24.4.88
Das Finale des Littlewoods Cup in jenem Jahr war eine Katastrophe, und manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich mich wieder damit beschäftige: Zehn Minuten vor Schluß liegen wir 2:1 in Führung, und am Ende einer der einseitigsten Phasen, die ich je im Fußball gesehen habe (Hayes trifft den Pfosten, Smith trifft die Latte, Smith ganz allein vor Dibble, aber er kann ihn nicht überwinden), liegt der Ball, nachdem Rocky zu Fall gebracht wurde, auf dem Elfmeterpunkt, und Winterburn wird gleich …
Nein. Er verschießt ihn wieder, zum vierzigsten oder fünfzigs
ten Mal seit jenem Nachmittag im April. Meine Tagträume sind so lebendig, daß es mir wirklich schwerfällt, zu glauben, daß er nicht irgendwann eine zweite Chance
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