Fever Pitch
als mein halbes Leben. Nur in zwei dieser zehn Spielzeiten hatte Arsenal Trophäen gewonnen; weitere zweimal hatte der Club ein Finale erreicht und fürchterlich versagt. Doch diese Triumphe und Fehlschläge hatten sich alle in meinen ersten vier Jahren ereignet, und ich war nicht mehr fünfzehn, als mein Leben ein bestimmtes Aussehen hatte, sondern einundzwanzig, und mein Leben hatte jetzt ein vollkommen anderes Aussehen. So wie Gaslampen und Pferdekutschen – oder vielleicht wie Spiral-Malschablonen und erbsenschießende Spielzeugpistolen – schienen Wembley und Meistertitel ganz allmählich einer vergangenen Welt anzugehören.
Als wir 1978 das FA-Cup-Halbfinale erreichten und es dann gewannen, war das ein Gefühl, als wäre die Sonne nach mehreren Jahren von Novembernachmittagen herausgekommen. Arsenal-Hasser werden vergessen haben oder sich einfach weigern zu glauben, daß dieses Arsenalteam imstande war, herrlichen, ja sogar bezaubernden Fußball zu spielen: Rix und Brady, Stapleton und Macdonald, Sunderland und, der beste von allen, der nur eine Saison bei uns war, Alan Hudson … drei oder vier Monate lang sah es so aus, als wäre das ein Team, das uns auf alle im Fußball nur erdenklichen Weisen glücklich machen könnte.
Wenn ich einen Roman schreiben würde, gewänne Arsenal das Pokalfinale 78. Ein Sieg ist rhythmisch und thematisch sinnvoller, eine weitere Wembley-Niederlage an dieser Stelle würde die Geduld und das Gerechtigkeitsempfinden des Lesers überbeanspruchen. Die einzige Entschuldigung, die ich für meine armselige Handlungsführung anbieten kann, ist, daß Brady offenkundig nicht fit war und niemals hätte spielen sollen, und Supermac, der in der Presse einige typische und unkluge Bemerkungen darüber gemacht hatte, was er mit der Verteidigung von Ipswich anstellen werde, schlechter als ein Totalausfall war. (Er hatte den gleichen Fehler, der darin bestand, erst laut anzugeben und dann keine Leistung zu bringen, schon vier Jahre vorher gemacht, als er für Newcastle spielte. Einige Zeit nach dem Ipswich-Fiasko druckte der GUARDIAN eine Pokal-Quizfrage ab: »Was wird jedes Jahr zum Pokalfinale mitgenommen und nie gebraucht?« Die gesuchte Antwort waren die Bändchen in den Farben des unterlegenen Teams, die nie an den Griff des Pokals gebunden werden, aber irgendein Klugscheißer schrieb ihnen und schlug Malcolm Macdonald vor.) Es war ein überwältigend einseitiges Finale, auch wenn Ipswich erst in der zweiten Hälfte traf; es sah nie so aus, als ob wir das Tor aufholen könnten, und wir verloren 0:1.
Also hatten wir jetzt drei von drei Endspielen in Wembley verloren, und ich war überzeugt, Arsenal niemals mit irgendwas in Wembley herumrennen zu sehen. Und doch ist 78 vielleicht die am wenigsten schmerzende Niederlage, weil ich von Leuten umgeben war, denen das Ergebnis überhaupt nicht weh tat, nicht mal dem Mann mit dem rot-weißen Schal (der verdächtig sauber war, so als ob er ihn vor dem Stadion gekauft hätte). Es ist ein eigenartiges Paradoxon, daß, obwohl das Leid (und es ist wirkliches Leid) von Fußballfans etwas Persönliches ist – jeder von uns hat eine individuelle Beziehung zu seinem Club, und ich glaube, daß wir insgeheim überzeugt sind, daß keiner der anderen Fans tatsächlich versteht, warum es uns härter als irgendeinen anderen getroffen hat –, man gezwungen ist, öffentlich zu trauern, inmitten von Leuten, die ihren Schmerz ganz anders ausdrücken als man selbst.
Viele Fans sind wütend auf ihr Team oder die Anhänger des Gegners – und zwar richtig ausfallend wütend, was mich verwirrt und traurig macht. Ich habe nie ein derartiges Verlangen verspürt; ich will nur allein sein, um nachzudenken, mich ein Weilchen in Selbstmitleid zu wälzen und die Kraft wiederzufinden, die nötig ist, um zurückzukehren und wieder von vorn anzufangen. Diese Männer an jenem Nachmittag, typische Geschäftsleute, waren sehr mitfühlend, aber nicht betroffen. Sie boten mir einen Drink an, und ich lehnte ab, also schüttelten sie mir die Hand und drückten ihr Bedauern aus, und ich verschwand; für sie war es wirklich nur ein Spiel, und es tat mir vermutlich gut, Zeit mit Menschen zu verbringen, die sich in jeder Hinsicht so verhielten, als wäre Fußball eine amüsante. Unterhaltung wie Rugby, Golf oder Cricket. Das ist er natürlich überhaupt nicht, aber so für einen Nachmittag war es interessant und aufschlußreich, Leute zu treffen, die dieser Ansicht
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