Fey 02: Das Schattenportal
umzubringen, aber nicht an die Ermordung ihrer politischen Anführer. »Ich weiß es nicht«, sagte er gedehnt. Sein Gesicht war ganz weiß geworden. »Ich weiß es nicht.«
Dann erhob er sich ebenfalls, und Alexanders Hand schob sich näher an den Krug heran. Doch Fledderer drehte ihm den Rücken zu und schob den Stuhl beiseite. Er legte die Hände auf den Rücken und fing an, auf und ab zu gehen, wobei er leise murmelnd den Kopf schüttelte.
Das war es, wovon der Wächter gesprochen hatte, und es erfüllte Alexander mit Sorgen. Er legte die Finger um den Krug. Die Keramik fühlte sich kalt an.
»Niemand mag die Schattenlande«, sagte Fledderer, mehr zu sich selbst, »und einige glauben nicht mehr an Rugars Visionen. Jewel ist zu jung für eigene Visionen.« Er sah mit weit aufgerissenen Augen zu Alexander auf. »Es würde ein Kampf um die Führung ausbrechen, und einige würden davonlaufen. Sie würden versuchen, irgendwo bei Eurem Volk einen Unterschlupf zu finden, oder weiter flußaufwärts ziehen.«
»Würde denn kein neuer Anführer an ihre Stelle treten? Hat denn Rugar keinen Nachfolger bestimmt, falls er in der Schlacht fällt?«
»Visionäre sterben nicht in der Schlacht«, sagte Fledderer. »Sie sind viel zu gut geschützt.« Und dann lächelte er. »Außer hier, wo sie mit Weihwasser begossen werden können.«
Alexander lächelte nicht. Er betrachtete Fledderers Gesicht. Obwohl er seine Reaktion zu beherrschen versuchte, verstörte ihn allein die Vorstellung. Sie verstörte auch Alexander. Der zweite Mord. Nur würde er diesen eigenhändig ausführen.
»Rugars Tod würde uns vernichten«, sagte Fledderer.
»Ich dachte, das wolltest du«, sagte Alexander.
Fledderer schüttelte den Kopf, aber nur ein wenig. »Ich will, daß Caseo stirbt.«
»Was würde mit Caseo geschehen?«
»Er würde versuchen, die Macht zu ergreifen und …« Diesmal huschte ein glückseliges Lächeln über Fledderers Gesicht. »Jemand würde ihn töten. Niemand kann ihn leiden. Alle wollen ihn loswerden. Egal, wer Anführer wird, Caseo müßte dran glauben. Er hat zuviel Macht. Er ist zu gefährlich. Und er hat einen großen Fehler begangen, indem er diesen jungen, talentierten Hüter mitgebracht hat.«
»Einen Fehler?« fragte Alexander.
Fledderer nickte. »Er ist ersetzbar. Er glaubt es zwar nicht, aber es ist so.«
»Wenn Rugar stürbe, könntest du also so leben, wie du es dir wünschst, und würdest obendrein deine Rache bekommen.«
Fledderer starrte ihn an, als hätte Alexander eine unsägliche Gotteslästerung ausgesprochen. Was seinen Worten wohl in etwa gleichkam. Doch der Mann befand sich in Alexanders Gewahrsam. Alexander konnte sagen, was er wollte. Der kleine Mann kam erst wieder frei, wenn Alexander es so bestimmte.
»Nach Rugars Tod«, sagte Fledderer langsam, »würde sich hier so manches ändern. Auf der Blauen Insel.«
»Solange der Schwarze König nicht eintrifft.«
»Vielleicht nicht einmal dann«, erwiderte Fledderer. »Das hängt davon ab, wie lange er braucht, um hier zu sein.«
Er klang überzeugt. Zumindest hörte es sich an, als überlegte er sich die Sache. Alexander konnte ihn dabei nicht drängen, ohne Gefahr zu laufen, Fledderer ein für allemal zu verlieren.
»Aber Rugar ist ein junger Mann«, sagte Fledderer. »Manche Fey werden doppelt so alt, wie er jetzt ist. Und er wird sehr gut abgeschirmt.«
»Wie gut?«
»Immer, wenn er das Schattenland verläßt, hat er auf Schritt und Tritt zwei Leibwächter bei sich, die ihn gegen alles schützen können.«
»Und wie sieht es innerhalb des Schattenlandes aus?« wollte Alexander wissen.
»Da kommt Ihr nicht hinein.« Plötzlich weiteten sich seine Augen. Er ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen wie ein Kind, das die Balance verloren hat. »Oh«, sagte er. »Ihr denkt dabei an mich.«
Alexander nickte. Er war unfähig, etwas zu sagen, hatte auch zuviel Angst davor.
»Ich kann Rugar nicht töten. Ich … niemand würde mir das verzeihen.«
»Du willst doch ohnehin nicht mehr bei diesem Volk leben.«
Fledderer schüttelte den Kopf. »Ihr versteht mich nicht. Sie würden jemanden auf mich ansetzen.«
»Nur, wenn zwei Sachen geschähen«, erwiderte Alexander. Sein Eifer hätte ihn am liebsten noch stärker gedrängt, und er mußte sich zwingen, ruhig zu sprechen. »Erstens müßtest du gesehen werden. Und zweitens müßten sie über eine gewisse Organisation verfügen, um jemanden auf dich ansetzen zu können. Du sagtest, ihre Gesellschaft
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