Fey 02: Das Schattenportal
denen sie sich unterhalten hatten, hatte Fledderer sich nicht von der Stelle gerührt.
Das hatte Alexander nicht davon abgehalten, sich vor dem Betreten des Raums mit Weihwasser einzureiben und mehrere Fläschchen davon bei sich zu führen. Die Wachen waren ebenfalls damit ausgerüstet, und Monte begleitete Alexander jedesmal mit hinein, einen Krug Weihwasser einsatzbereit in der Hand. Dann ging Monte hinaus, und Fledderer klärte Alexander über die Schrecken der Fey auf. Alexander wollte nicht, daß irgend jemand sonst seine Worte hörte. Er wollte keinesfalls, daß irgendwelche Gerüchte die Runde machten.
An diesem Tag saß Fledderer breitbeinig und mit geneigtem Kopf auf einem der beiden Holzstühle. Die Ellbogen ruhten auf seinen Schenkeln, die Hände hingen zwischen den Knien herab. Ein Bild der Niedergeschlagenheit. Alexander war sich immer noch nicht sicher, was Fledderer wollte. Jedenfalls war es nicht sein Wunsch, noch länger in diesem kleinen Zimmer eingesperrt zu sein.
Alexander holte sich den anderen Stuhl und zog ihn von der Wand weg. Offensichtlich rückte Fledderer in der Nacht einen Teil der Einrichtung zur Seite, um sich mehr Platz zu verschaffen. Einmal hatte sich Alexander bei einem Wachtposten erkundigt, wozu Fledderer den Platz benötigte. Die Wache hatte gesagt, er gehe bis in die frühen Morgenstunden rastlos auf und ab.
Monte warf Alexander einen nervösen Blick zu – den gleichen, den er ihm schon seit Tagen zuwarf. Alexander ignorierte ihn. Er kannte das Risiko. Und er haßte es, wenn Monte ihn daran erinnerte. Andererseits dachte er, wenn bislang nichts passiert ist, dann passierte auch jetzt nichts mehr.
Auf Alexanders Zeichen hin verließ Monte das Zimmer. Alexander stützte sich auf die Lehne seines Stuhls, setzte sich aber nicht. Fledderer sah zu ihm auf.
Über das Gesicht des kleinen Mannes spannte sich ein Geflecht feiner Fältchen, was seine fließenden Züge noch mehr hervorhob.
»Sag mir, Fledderer«, eröffnete Alexander das Gespräch auf Nye, »was wäre mit dir geschehen, wenn du in Nye geblieben wärst?«
Fledderer starrte ihn eine Weile an. Augenscheinlich hatte er nicht mit dieser Frage gerechnet. »Ich hatte keine andere Wahl. Ich mußte gehen.«
»Hast du etwas verbrochen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich gehörte zu Rugars Truppe. Die meisten in dieser Truppe hatten eine Wahl, nur die Rotkappen nicht. Wir haben überhaupt nie eine Wahl. Von uns wird erwartet, daß wir tun, was man uns aufträgt.«
»Und was wäre geschehen, wenn du dortgeblieben wärst?«
Er zuckte die Achseln. »Vermutlich hätte mich der Schwarze König als Abschreckung für die anderen getötet.«
»Keinen Hof, kein normales Leben, keine Träume?« fragte Alexander, der sich daran erinnerte, was Fledderer ihm am ersten Tag gesagt hatte.
Fledderer lachte auf. »Ein Hof? Ein Häuschen? Wer hätte denn neben mir wohnen sollen? Ein anderer Fey? Nein, Sire. Die Entscheidung über mein Schicksal fiel bereits sehr früh, sobald klar war, daß ich nicht größer werden und auch keine Zauberkräfte empfangen würde. Ich konnte einigen der Domestiken bei den Verrichtungen helfen, die sich nicht mit Hilfe der Magie bewältigen ließen, und vielleicht, wenn ich mich gut benommen hätte, hätte ich heiraten können … aber wahrscheinlich nicht, denn die meisten Fey hätten befürchtet, daß meine Kinder ebenso verunstaltet sein könnten wie ich.«
»Verunstaltet?«
Fledderer stand auf und drehte sich um, hob die Arme über den Kopf. »Ich bin nicht einmal so groß wie Ihr, und im Vergleich zu meinen Leuten seid Ihr klein. Ich verfüge über keinerlei Magie. Ich bin nicht schlank. Wißt Ihr, daß Rotkappen nicht einmal erlaubt ist, ein hohes Alter zu erreichen? Wenn sie nicht mehr in der Lage sind, ihre schwere Arbeit zu verrichten, werden sie getötet, oder sie gehen einfach weg und werden nie wieder gesehen. Ich habe Caseo widersprochen, was in manchen Kreisen für eine Rotkappe so gut wie ein Todesurteil ist.«
»Auch für Rugar?«
»Gut möglich«, sagte Fledderer, »wenn alles so läuft, wie Caseo es einfädelt. Rugar sieht in Caseo unsere einzige Hoffnung, hier herauszukommen, und zwar, indem ein Gegenmittel für euer Gift gefunden wird.« Bei der Erwähnung des Weihwasser warf er einen Blick auf den Krug am Ende des Tisches. Bei einem ihrer früheren Zusammenkünfte hatte er darum gebeten, es wegzustellen, doch Alexander hatte sich geweigert. Fledderer wußte, daß er ein Gefangener war,
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